Die Fluesse von London - Roman
Kamin, der wohl einmal tatsächlich ein offener Kamin gewesenwar, hatte man einen Gasofen aus grünen Keramikfliesen installiert. Die Leselampe auf dem Schreibtisch hatte einen Schirm aus Japanpapierimitat und daneben stand ein altes Bakelittelefon, das bestimmt älter war als mein Vater. Im Zimmer roch es nach einem Gemisch von Staub und kürzlich angewandter Möbelpolitur und ich vermutete, dass die Möbel in diesem Raum in den vergangenen fünfzig Jahren unter weißen Staubhüllen vor sich hin geträumt hatten.
»Wenn Sie sich eingerichtet haben, kommen Sie ins Erdgeschoss hinunter«, sagte Nightingale. »Aber sorgen Sie dafür, dass Sie vorzeigbar sind.«
Ich wusste, was damit gemeint war, deshalb versuchte ich es so lange wie möglich hinauszuzögern, obwohl ich eigentlich mit dem Auspacken recht schnell fertig war.
Genau genommen gehörte es nicht zu unserem Job, trauernde Eltern vom Flughafen abzuholen, und abgesehen davon, dass eigentlich die Westminster-Mordkommission offiziell für den Fall zuständig war, war es auch sehr unwahrscheinlich, dass die Eltern von Augusta Coopertown irgendwelche Informationen zu der Mordsache beisteuern konnten. Es mag herzlos klingen, aber Detectives haben tatsächlich Wichtigeres zu tun, als Trauerberater für die Hinterbliebenen zu spielen, dafür sind die unterstützenden Sozialarbeiter da. Nightingale sah das allerdings nicht so, und deshalb hingen er und ich im Ankunftsterminal am Flughafen Heathrow herum und warteten darauf, dass Mr. und Mrs. Fischer durch den Zoll kamen. Natürlich war ich es, der das Schild mit ihrem Namen hochhalten musste.
Sie sahen anders aus, als ich erwartet hatte. Dad war klein und fast kahl und Mum hatte mausgraues Haar und war rundlich. Nightingale stellte sich in einer Sprache vor, die vermutlich Dänisch war, und befahl mir, das Gepäck zum Jaguar zu bringen – was ich in diesem Fall ausgesprochen gern tat.
Fragen Sie irgendeinen Polizisten, was für ihn das Schlimmste an seinem Job ist. Ich wette, alle werden dasselbe sagen – Verwandten die schlechte Nachricht zu überbringen. Stimmt aber nicht. Das Schlimmste ist, nach der Mitteilung im selben Zimmer sitzen bleiben zu müssen, wenn das Leben dieser Menschen förmlich in sich zusammenstürzt. Manche werden behaupten, dass ihnen das nichts ausmacht – diesen Leuten sollte man nicht über den Weg trauen.
Die Fischers hatten offenbar ein Hotel gegoogelt, das möglichst nahe am Haus ihrer Tochter lag, und sich in eine Mischung aus Gefängnisblock und Tankstelle eingebucht, erbaut aus Backsteinen. Es stand am Havistock Hill und die Lobby wirkte so angestaubt und unfreundlich wie ein überlastetes Arbeitsamt. Ich bezweifle zwar, dass die Fischers das überhaupt wahrnahmen, aber Nightingale war deutlich anzumerken, dass er das Hotel für nicht gut genug hielt; einen Moment lang glaubte ich sogar, er würde die Fischers einladen, im Folly zu übernachten.
Doch dann seufzte er nur und bedeutete mir das Gepäck vor der Rezeption abzustellen. »Ich kümmere mich jetzt um sie«, sagte er und schickte mich nach Hause. Ich verabschiedete mich von den Fischers und verschwand aus ihrem Leben, so schnell ich nur konnte.
Nach diesem Erlebnis hatte ich überhaupt keine Lust mehr auszugehen, aber Lesley überredete mich. »Du kannst dich nicht einfach verkriechen, nur weil draußen in der Welt schlimme Dinge passieren«, sagte sie. »Außerdem bist du mir das schuldig.«
Ich widersetzte mich nicht lange. Und das Gute am West End ist, dass es da an jeder Ecke ein Kino gibt. Wir fingen im Prince Charles an, aber dort zeigten sie
12 Monkeys
im Saal unten und zwei Kurosawa-Klassiker oben, also gingen wir um die Ecke zum Leicester Square Voyage. Das Voyage ist eine Miniaturversion eines Multiplexkinos mit acht Leinwänden, und zwei waren sogar tatsächlich ein bisschen größer als ein durchschnittlicher Plasmafernseher. Normalerweise bevorzuge ich Filme, in denen ein gewisses Maß an völlig überflüssiger Gewalt vorkommt, aber heute ließ ich mich von Lesley überreden, dass
Sherbet Lemons
genau der richtige Film sei, um uns abzulenken und wieder ein bisschen aufzumuntern – der Wohlfühlfilm des Monats, eine romantische Komödie mit Allison Tyke und Dennis Carter. Und vielleicht hätte das mit der Ablenkung sogar funktioniert, wenn wir den Film überhaupt zu sehen bekommen hätten.
Das Foyer wurde von einem langen Tresen für Tickets, Snacks und Getränke beherrscht, der
Weitere Kostenlose Bücher