Die Fluesse von London - Roman
man eine Gruppe von männlichen IC1 beobachtet habe, die in Jeans und Donkeyjacken gekleidet waren und sich auf der Riverside Road einen Straßenkampf mit einer unbekannten Anzahl von weiblichen IC3 geliefert hätten. IC1 ist der polizeiliche Identifizierungscode für Weiße, IC3 kennzeichnet Farbige, und falls das hier irgendjemanden interessiert: Ich selber springe irgendwo zwischen IC3 und IC6 herum – arabisch oder nordafrikanisch, je nachdem, wie viel Sonne ich gerade abbekommen habe. Schwarz gegen Weiß war zwar ungewöhnlich, aber nicht unmöglich, doch ich hatte noch nie von Boys gegen Girls gehört, und TW-1 offenbar auch nicht, denn sie verlangte nach weiterer Klärung.
»Weiblich«, berichtete TW-3, »definitiv weiblich, denn eine von ihnen ist splitternackt.«
»Das habe ich befürchtet«, murmelte Nightingale.
»Was befürchtet?«, fragte ich.
Rechts und links von uns war einen Augenblick nur Leere zu sehen, als wir über die Chiswick Bridge rasten. Oberhalb von Chiswick verläuft die Themse in einer nördlichen Schleife um Kew Gardens. Wir durchquerten die Schleife an der Basis und hielten auf die Richmond Bridge zu.
»In der Nähe befindet sich ein wichtiger Schrein«, erklärte Nightingale. »Ich denke, die Jungs waren vielleicht scharf darauf.«
Mit »Schrein«, vermute ich, meinte er wahrscheinlich nicht das Rugbystadion.
»Und die Mädchen wollten den Schrein verteidigen?«
»So könnte es gewesen sein.« Nightingale war ein hervorragender Fahrer, mit einer Konzentration, die ich bei hohen Geschwindigkeiten doch recht beruhigend fand, aber selbst er musste ab und zu ein wenig langsamer fahren, wenn die Straßen enger wurden. Wie viele andere Bezirke Londons war auch das Straßennetz in Richmond Town zu einer Zeit entstanden, als Stadtplanung noch ein Fremdwort war.
»Tango Whiskey Vier an Tango Whiskey Eins: Ich bin in der Church Lane an der Themse und beobachte gerade fünf oder sechs männliche IC1. Sie steigen in ein Boot – sie verfolgen jemanden.«
TW-4 musste der zweite Einsatzwagen des Bezirks Richmond sein, was bedeutete, dass jetzt ungefähr jeder verfügbare Kollege mit der Sache befasst war.
TW-3 berichtete, von den weiblichen IC3 sei nichts zu sehen, weder nackt noch sonst wie, aber TW-3 habe das Boot gesichtet und es steuere auf das gegenüberliegende Ufer zu.
»Melden Sie sich und teilen Sie mit, dass wir auf dem Weg sind«, sagte Nightingale.
»Wie ist unser Rufzeichen?«, erkundigte ich mich.
»Zulu Eins«, antwortete er völlig ernst.
Ich schaltete das Mikro ein. »Tango Whiskey Eins – hier ist Zulu Eins. Bitte melden.«
Eine kleine Pause trat ein, während TW-1 das verarbeitete. Ich fragte mich, ob die diensthabende Beamtin wusste, wer wir waren.
»Tango Whiskey Eins an Zulu Eins: verstanden.« Die Stimme klang gleichmütig, neutral. Sie wusste offenbargenau, wer wir waren. »Die Verdächtigen haben anscheinend den Fluss überquert und halten sich jetzt möglicherweise am Südufer auf.«
Ich versuchte das zu bestätigen, brachte aber nur ein Krächzen heraus, da Nightingale im selben Augenblick in die George Street raste, und zwar in falscher Richtung, was man bekanntlich in einer Einbahnstraße selbst mit Blaulicht und heulender Sirene nicht tun sollte. Nicht zuletzt deshalb, weil dabei durchaus die Möglichkeit besteht, dass man sich plötzlich Stirn an Stirn mit etwas wirklich sehr Schwerem befinden könnte, das für die nächtliche Straßenreinigung konstruiert worden ist. Ich stemmte beide Füße gegen den Fußraum des Jaguar, als unsere Scheinwerfer ein zwei Meter hohes kirschrotes Valentinsherz im Schaufenster der Drogeriemarktkette Boots aufleuchten ließen.
TW-3 meldete sich erneut: »Auf dem Boot der Verdächtigen ist soeben ein Feuer ausgebrochen. Ich sehe mehrere Leute über Bord springen.«
Nightingale bremste abrupt, bog ab und nun fuhren wir glücklicherweise wieder in der richtigen Richtung. Die Richmond Bridge lag links von uns, aber Nightingale fuhr geradewegs über den Minikreisverkehr und in die Straße, die an der Themse entlangführte. Wir hörten, dass TW-1 das Feuerlöschboot der Londoner Feuerwehr anforderte, doch das Boot würde mindestens zwanzig Minuten brauchen.
Nightingale riss den Jaguar in eine Rechtskurve, die ich nicht mal bemerkt hatte, und plötzlich rasten wir durch absolute Dunkelheit, holperten über eine Straße, die den Unterboden mit kleinen Splittsteinen bombardierte. Einenicht weniger plötzliche
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