Die Fluesse von London - Roman
Linkskurve, und jetzt fegten wir direkt am Ufer entlang und folgten der Flussbiegung nach Norden. Auf der gegenüberliegenden Uferseite lag eine Reihe von Kabinenkreuzern vertäut und dahinter konnte ich einen gelben Feuerschein ausmachen – das musste das brennende Boot sein. Es handelte sich nicht um eine Freizeityacht, sondern um einen altmodischen Binnenkahn, aber in einer verkürzten Ausführung, die von alternativ angehauchten Unternehmern bevorzugt wird und bei der man erwarten konnte, dass die Seitenwände des Aufbaus bunt bemalt waren und dass irgendwo auf dem Deck eine schlafende Katze lag. Sollte auch dieses Boot eine Katze an Bord haben, konnte ich nur hoffen, dass sie schwimmen konnte, denn inzwischen brannte das Boot vom Bug bis zum Heck.
»Dort!«, sagte Nightingale.
Ich starrte nach vorn und bemerkte am Rand unseres Scheinwerferlichts ein paar Gestalten. Ich gab die Meldung an TW-1 durch: »Bestätige, dass sich die Verdächtigen am Südufer aufhalten, in der Nähe von … Wo sind wir eigentlich?«
»Hammerton’s Ferry«, sagte Nightingale und ich meldete es weiter.
Nightingale hielt gegenüber dem brennenden Boot. Im Handschuhfach lag eine Taschenlampe, eine vulkanisierte Monstrosität mit altmodischer Glühbirne. Aber sie lag schön schwer in der Hand, was mir ein beruhigendes Gefühl vermittelte, als wir in die Dunkelheit gingen.
Ich leuchtete den Pfad ab, aber die Verdächtigen – wenn sie denn Verdächtige waren – hatten sich bereits davongemacht. Nightingale schien sich mehr für den Flussals für den Pfad zu interessieren. Am Ufer ließ ich den Lichtstrahl über das Wasser rings um das Boot kreisen, das langsam flussabwärts trieb, konnte aber niemanden im Wasser entdecken.
»Sollten wir nicht überprüfen, dass niemand an Bord geblieben ist?«, fragte ich.
»Ich will doch hoffen, dass niemand mehr an Bord ist!«, sagte Nightingale sehr laut, als redete er mit dem Fluss und nicht mit mir. »Und ich will, dass das Feuer sofort gelöscht wird!«, fügte er hinzu.
Aus dem Dunkeln hörte ich ein Kichern und richtete meine Taschenlampe in die Richtung, aber es war nichts zu sehen außer den am anderen Ufer vertäuten Booten. Gerade als ich wieder zum brennenden Boot hinüberblickte, wurde es ins Wasser hinabgezogen, als hätte es jemand am Kiel gepackt und mit heftigem Ruck unter die Oberfläche gerissen. Die letzten Flammen erloschen zischend und dann schoss das Boot wieder an die Oberfläche wie eine Plastikente im Badewasser. Das Feuer war vollständig aus.
»Wer hat das gemacht?«, fragte ich verblüfft.
»Die Flussgeister«, antwortete Nightingale. »Bleiben Sie hier, während ich weiter oben am Ufer nachschaue.«
Wieder hörte ich ein Lachen über das Wasser schallen. Dann sagte jemand, keine drei Meter von mir entfernt, definitiv eine Frau und aus London, sehr deutlich: »Ach du Scheiße!« Gleichzeitig war ein metallisches Reißen zu hören.
Ich lief hin. An dieser Stelle war das Ufer eine sumpfige Böschung, die nur durch Baumwurzeln und große Flusskiesel stabilisiert wurde. Als ich näher kam, hörteich ein Platschen, schwenkte den Lichtstrahl hinüber und sah gerade noch eine schlanke, kurvenreiche Gestalt im Wasser verschwinden. Vielleicht hätte ich sie für einen Otter gehalten, wenn ich blöd genug gewesen wäre zu glauben, dass Otter unbehaart sind und so groß wie ein Mensch werden können. Direkt vor meinen Füßen lag eine Art Käfig aus engmaschigem Draht, der, wie ich später erfuhr, zu einem Projekt zur Eindämmung der Ufererosion gehörte. Eine Seite des Käfigs war aufgerissen worden.
Nightingale kehrte mit leeren Händen zurück und meinte, dass wir nun genauso gut auf das Löschboot warten konnten, welches das Wrack abschleppen würde. Ich fragte ihn, ob es hier so was wie Meerjungfrauen gebe.
»Das war keine Meerjungfrau«, sagte er.
»Also gibt es so etwas wie Meerjungfrauen?«, hakte ich nach.
»Konzentration, Peter«, sagte er. »Eins nach dem anderen.«
»Oder war es ein Flussgeist?«
»
Genius loci
. Der Geist des Ortes, oder eine Flussgöttin, wenn Sie so wollen.« Aber nicht die Göttin der Themse persönlich, erklärte er weiter, weil es eine Verletzung der Abmachung wäre, wenn sie sich persönlich an solchen Übergriffen beteiligte. Ich fragte ihn, ob er mit der Abmachung
die Abmachung
meinte oder eine ganz andere Abmachung.
»Es gibt eine Anzahl von Abmachungen«, sagte Nightingale. »Und ein wesentlicher Teil unserer Arbeit
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