Die Fluesse von London - Roman
Vorort-Troll, warum auch nicht?
»Das ist Ihre Quelle, nicht wahr, Sir? Er hat Ihnen den Tipp gegeben.«
»Jeder Polizist ist nur so gut wie seine Informanten«, sagte Nightingale. Ich verzichtete auf den Hinweis, dass wir diese Leute heutzutage als Verdeckte Nachrichtenquellebezeichneten. »Bleiben Sie mal ein wenig zurück«, wies er mich an. »Er kennt Sie schließlich noch nicht.«
Nathaniel wich in seine Höhle zurück, als sich Nightingale näherte und sich höflich am Eingang der Trollhöhle niederkauerte. Ich stampfte mit den Füßen und hauchte auf meine eiskalten Finger. Zwar war ich vernünftig genug gewesen, schnell noch meine Uniformjacke vom Haken zu reißen, aber obwohl ich sie unter meiner Winterjacke trug, spürte ich nach drei Stunden im Februar am Fluss, dass ich wohl bald den Zustand absoluter und totaler Erstarrung erreichen würde. Wenn ich nicht so damit beschäftigt gewesen wäre, meine Hände unter den Achseln zu wärmen, hätte ich vielleicht früher bemerkt, dass ich beobachtet wurde. Andererseits hätte ich es vielleicht überhaupt nicht bemerkt, wenn ich nicht seit zwei Wochen geübt hätte, ein
Vestigium
von einer stinknormalen Paranoia zu unterscheiden.
Es begann wie ein leichter Schauder, eine aufwallende Verlegenheit, wie damals in der achten Klasse, als Rona Tang über das Niemandsland der Disco-Tanzfläche zu mir herübermarschiert kam und mich mit unmissverständlichen Worten informierte, dass Sumne Ajayi mit mir zu tanzen wünsche, während ich aber auf gar keinen Fall tanzen wollte, solange eine verschworene Gemeinschaft weiblicher Teenager mich dabei beobachtete. Genau diese Art von kritischer Beobachtung verspürte ich jetzt auch wieder – provozierend, spöttisch, neugierig. Ich blickte mich unwillkürlich um, wie man das eben so macht, sah aber nichts als den gelblichen Schein der Laternen oben an der Straße. Dann spürte ich einen Hauch von warmem Atem an der Wange, eine Empfindung wieein kurzer Sonnenstrahl, frisch gemähtes Gras und geglättetes Haar. Ich drehte mich schnell um und starrte auf den Fluss hinaus – und für einen flüchtigen Augenblick glaubte ich eine Bewegung wahrzunehmen, ein Gesicht vielleicht, irgendetwas …
»Haben Sie etwas gesehen?«, fragte Nightingale so plötzlich, dass mir fast das Herz stehen blieb.
»Jesus!«, stieß ich hervor.
»Nicht auf diesem Fluss«, winkte Nightingale ab. »Nicht mal Blake glaubte, dass das möglich wäre.«
Wir kehrten zum Jaguar zurück und in die unbeständige Gemütlichkeit seiner 1960er-Heizung. Als wir durch das Zentrum von Richmond fuhren (dieses Mal hielten wir uns an die Einbahnstraßenregelung), fragte ich Nightingale, ob Nathaniel ihm etwas Nützliches mitgeteilt habe.
»Er bestätigte nur, was wir ohnehin schon vermutet hatten«, sagte Nightingale. Dass die Jungs in dem Boot zur Gefolgschaft von Vater Themse gehörten, dass sie den Fluss hinuntergekommen waren, um den Schrein auf Eel Pie Island zu plündern. Und dass sie auf ihrer Flucht den eigenen Kahn wahrscheinlich versehentlich abgefackelt hatten. Flussabwärts lag das Herrschaftsgebiet von Mutter Themse, flussaufwärts das von Vater Themse. Die Grenze verlief an der Teddington-Schleuse, zwei Kilometer flussaufwärts von Eel Pie Island.
»Sie glauben also, Vater Themse wollte sein Revier ein bisschen ausdehnen?«, fragte ich. Allmählich kam es mir so vor, als redeten wir hier nicht über »Götter«, sondern über Drogenhändler. Jetzt, auf dem Rückweg, hatte der Verkehr merklich zugenommen. London erwachte.
»Es ist wohl kaum erstaunlich, dass auch die lokalen Gottheiten so etwas wie Grenzstreitigkeiten kennen«, meinte Nightingale. »Auf jeden Fall ist das für Sie, Peter, eine gute Gelegenheit, sich einen einzigartigen Einblick in dieses Problem zu verschaffen. Ich möchte, dass Sie Mama Themse aufsuchen und mal ein Wörtchen mit ihr reden.«
»Und was genau sollen ich und mein einzigartiger Einblick mit Mrs. Themse bereden?«
»Versuchen Sie herauszufinden, worum es eigentlich geht, und schauen Sie, ob Sie vielleicht eine gütliche Lösung finden können.«
»Und wenn mir das nicht gelingt?«
»Dann sollten Sie sie daran erinnern, dass es immer noch einen Landfrieden gibt. Und dass er für das gesamte Königreich gilt.«
Niemand außer Nightingale durfte den Jaguar fahren, was ich im Prinzip durchaus verstehen konnte, denn hätte ich einen solchen Schlitten besessen, hätte ich wohl auch niemand anders ans Steuer
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