Die Fluesse von London - Roman
Küche, Kekse mit Cremefüllung aus der Supermarkt-Großpackung.
An der Schwelle zum Wohnzimmer blieb Beverley stehen und winkte mich zu sich, so dass sie mir ins Ohr flüstern konnte: »Benimm dich gefälligst respektvoll, Mann!« Ich atmete den Duft von elektrischem Haarglätter und Kakaobutter ein und fühlte mich wieder wie mit sechzehn.
Der Architekt hatte wahrscheinlich irgendwann in den neunziger Jahren den Auftrag erhalten, das Lagerhaus zu Luxusapartments für aufstrebende Yuppies umzubauen. Zweifellos hatte er dabei Frauen und Männer in grauen Geschäftsanzügen im Sinn, die ihr Heim so öde und minimalistisch einrichten würden, wie es gern in skandinavischen Krimis beschrieben wird. Bestimmt hätte ersich auch in seinen schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können, dass die zukünftigen Bewohner die großzügigen Dimensionen des Wohnzimmers als Ausrede missbrauchen würden, um es mit mindestens vier dreiteiligen Sitzlandschaften aus der nächstgelegenen Filiale von World of Leather vollzustopfen. Ganz zu schweigen von dem Plasma-Bildschirm, auf dem gegenwärtig Fußball ohne Ton lief, und einer riesigen Topfpflanze, in der ich erstaunt eine Mangrove erkannte. Ein richtiger Mangroven
baum
, dessen knorrige Wurzeln über den Rand des Topfes gequollen waren und nun die Landschaft unter dem Langflorteppich erkundeten. Ich blickte nach oben: die obersten Äste waren bereits durch die Decke gestoßen, und ich sah ein paar Stellen, an denen weißer Gips herausgerieselt war, so dass man die hölzerne Deckenkonstruktion sehen konnte.
Über die Sofas verteilt saß eine so feine Ansammlung afrikanischer Frauen mittleren Alters, wie man sie höchstens noch in einer Pfingstlerkirche antreffen konnte – und alle bedachten mich mit dem gleichen prüfenden Blick von oben bis unten, mit dem mich auch Beverley taxiert hatte. Mitten unter ihnen saß eine magere weiße Frau mit rosa Kaschmir-Twinset und einer Perlenkette um den Hals. Offenbar fühlte sie sich hier wie zu Hause, gerade so, als habe sie auf dem Weg in die Stadt nur kurz hereingeschaut und dann vergessen, wieder zu gehen. Mir fiel auf, dass ihr die Hitze nichts auszumachen schien. Sie nickte mir freundlich zu.
Aber all das war unwichtig, denn es befand sich noch eine weitere Frau im Raum: die Göttin des Flusses Themse.
Sie thronte im besten der tiefen, dick gepolsterten Sessel. Ihr Haar war mit schwarzen Baumwollfäden zu Zöpfen geflochten und mit Goldfäden durchwirkt und wie eine Krone um ihre Stirn gelegt. Ihr Gesicht war rund und faltenlos, die Haut war so glatt und vollkommen wie die eines Kindes, und ihre Lippen waren voll und sehr dunkel. Sie hatte die gleichen Katzenaugen wie Beverley. Die Bluse und der Wickelrock waren aus feinster goldfarbener österreichischer Spitze, am Ausschnitt mit einer rot-silbernen Bordüre abgesetzt. Der Ausschnitt war so weit, dass eine glatte, rundliche Schulter und die üppigen oberen Ausläufer ihrer Brüste deutlich zu sehen waren.
Eine wunderbar manikürte Hand ruhte auf einem Beistelltisch, neben den Tischbeinen standen Leinensäcke und kleine Holzkisten. Als ich näher kam, stieg mir der Geruch von Salzwasser und Kaffee in die Nase, von Diesel und Bananen, Kakao und Fischinnereien. Auch ohne Nightingale wusste ich, dass ich hier etwas Übernatürliches wahrnahm, einen so starken Zauber, dass es mir vorkam, als würde ich von einer Flutwelle mitgerissen. In ihrer Gegenwart kam es mir überhaupt nicht seltsam vor, dass die Flussgöttin der Themse Nigerianerin war.
»Du also bist der Junge vom Zauberer«, sagte Mama Themse. »Ich dachte, wir hätten eine Abmachung?«
Endlich fand ich meine Stimme wieder. »Ich glaube, es war eher eine Art Übereinkunft.«
Ich musste gegen den Drang ankämpfen, mich vor ihre Füße zu werfen und mein Gesicht zwischen ihre Brüste zu pressen und nur noch zu blubbern, blubbern, blubbern. Als sie mich einlud, mich zu setzen, war ich so steif, dass es wehtat.
Mir entging nicht, dass Beverley hinter vorgehaltener Hand kicherte. Es entging auch Mama Themse nicht, die den Teenager in die Küche jagte. Eins weiß ich mit Sicherheit: afrikanische Frauen kriegen deshalb Kinder, damit jemand anders die Hausarbeit machen muss.
»Möchtest du eine Tasse Tee?«, fragte Mama Themse.
Höflich lehnte ich ab. Diesen Punkt hatte Nightingale besonders betont: unter ihrem Dach nichts essen und nichts trinken. »Sobald Sie das tun«, hatte er gesagt, »zappeln Sie an ihrem Haken.« Meine
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