Die Fluesse von London - Roman
wir haben Ihnen Speis und Trank angeboten und Sie mit unserer langweiligen Geschichte fast um den Verstand gebracht. Lassen Sie uns nun über die geschäftlichen Dinge sprechen. Was genau will die Große Lady?«
»Ich möchte zunächst klarstellen, dass ich hier nur als Vermittler agiere«, begann ich. In Hendon hatte ich einen Kurs über Schlichtungsmethoden bei der Konfliktlösung gemacht; der Trick besteht darin, dass man stets die eigene Neutralität betont, beide Parteien aber gleichzeitig glauben lässt, man stünde insgeheim auf ihrer Seite. Sie hatten sogar Rollenspiele und solches Zeug mit uns veranstaltet – das gehörte zu den wenigen Dingen, bei denen ich besser abgeschnitten hatte als Lesley. »Mama Themse glaubt, dass Sie und die Ihren sich flussabwärts über die Teddington-Schleuse hinaus orientieren.«
»Es ist ein einziger Fluss«, sagte Oxley. »Und
er
ist nun mal der Alte Mann der Themse.«
»Sie behauptet, er habe sich 1858 vom Tidefluss zurückgezogen«, sagte ich. Genauer: Während des Großen Gestanks, ich bitte die Großschreibung zu beachten, als die Themse dermaßen viel Abwasser führte, dass London von einem absolut grauenhaften Gestank eingehüllt wurde und das Parlament sogar darüber beriet, ob es nicht nach Oxford umziehen solle.
»Niemand blieb in jenem Sommer in London, wenn er nicht unbedingt musste«, sagte Oxley. »Es war unzumutbar für Mensch und Tier.«
»Sie sagt, er sei auch später nie mehr zurückgekommen«, fuhr ich fort. »Ist das richtig?«
»Das ist richtig. Die Wahrheit ist, dass der alte Mann die Stadt nie geliebt hat, nicht, seit sie seine Söhne tötete.«
»Welche Söhne?«
»Oh, Sie wissen doch, welche Söhne. Es waren Ty, Fleet und Effra. Sie ertranken in einer Flut von Dreck und Schlamm und wurden schließlich von diesem cleveren Bastard Bazalgette aus ihrem Elend erlöst. Das war der Mensch, der die Abwasserkanäle baute. Ich habe ihn mal kennengelernt, müssen Sie wissen, ein großartig auftretender Mann mit den feinsten Koteletten, die man seit William Gladstone zu sehen bekam. Ich hab ihn kräftig in den Arsch getreten – er war ein mörderischer Schuft.«
»Sie glauben also, er tötete die Flüsse?«
»Nein«, antwortete Oxley, »aber er war ihr Totengräber. Eins muss man den Töchtern der Großen Lady lassen: Sie müssen weitaus zäher sein, als meine Brüder es waren.«
»Aber wenn er die Stadt nicht mag, warum will er dann jetzt flussabwärts?«, fragte ich.
»Manche von uns haben eben immer noch eine Schwäche für die funkelnden Lichter der Großstadt«, meinte Oxley und lächelte seine Frau an.
»Ja, es wäre schön, wieder mal ins Theater zu gehen«, sagte Isis.
Oxley goss mir Tee nach. Eine krächzende Stimme brüllte irgendwo hinter mir aus dem Lautsprecher: »
Let’s get this party started
.« James Brown war immer noch gut drauf, jetzt auch noch »
with sugar and spice
«.
»Aber wollen Sie sich deshalb wirklich mit Mama Themses Töchtern auf einen Kampf einlassen?«
»Glauben Sie, die machen uns Angst?«, fragte er zurück.
»Ich glaube Ihnen jedenfalls nicht, dass Sie selbst es um jeden Preis wollen. Außerdem bin ich sicher, dass man zu einer Vereinbarung kommen kann.«
»Wie sollte die wohl aussehen? Eine organisierte Busfahrt an den Unterlauf für uns?«, fragte Oxley ironisch. »Müssen wir da unsere Reisepässe mitnehmen?«
Auch wenn Sie vielleicht das Gegenteil annehmen: Die meisten Leute möchten sich eigentlich nicht prügeln, vor allem dann nicht, wenn das Kräfteverhältnis ungefähr gleich ist. Ein Mob kann einen Einzelnen ohne Weiteres in Stücke reißen, und einem Mann mit einem Gewehr und einer Mission wird es überhaupt nichts ausmachen, im Namen irgendeiner heiligen Sache Frauen und Kinder umzunieten – aber einen fairen Kampf riskieren die meisten nicht so gern. Deshalb kann man auch ständig besoffene junge Männer beobachten, die den ewigen Tanzmit dem Motto »Wehe, einer versucht mich aufzuhalten« aufführen – während sie inbrünstig hoffen, dass irgendjemand genug für sie übrighat, um sie aufzuhalten. Deshalb sind auch immer alle so froh, wenn die Polizei auftaucht. Wir
müssen
die Jungs dann retten, ob wir was für sie übrighaben oder nicht.
Oxley war kein besoffener junger Typ, aber mir war klar, dass auch er gern jemanden finden würde, der ihn aufhielt. Oder vielleicht seinen Vater?
»Ihr Vater«, sagte ich, »was genau will er eigentlich?«
»Was alle Väter wollen –
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