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Die Fluesse von London - Roman

Die Fluesse von London - Roman

Titel: Die Fluesse von London - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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umgekommen war. Und wenn ich bestimmte Straßen nur deshalb vermeiden wollte, weil dort jemand ums Leben gekommen war, würde ich wohl nach Aberystwyth umziehen müssen.
    Es war später Abend und nicht besonders warm, aber vor dem Pub hingen immer noch ein paar Gäste herum. London hatte die Sache mit den Straßencafés erst ziemlich spät kapiert und war jetzt entschlossen, sich den Spaß nicht durch ein bisschen kalten Wind verderben zu lassen   – vor allem nicht, seit es verboten war, im Pub zu rauchen.
    Toby blieb in der Nähe der Stelle stehen, an der Dr.   Framline den Kurier angegriffen hatte, aber nur so lange, wie er brauchte, um an einen Poller zu pinkeln.
    Selbst jetzt, da die Lokale bald schließen würden, war Covent Garden immer noch voller Menschen. Die Oper war gerade vorbei und die Zuschauer strömten heraus und begaben sich auf die Suche nach einem späten Imbiss oder einem Drink, während junge Austauschschüler aus ganz Europa ihr althergebrachtes Recht ausübten, die Gehwege komplett zu blockieren.
    Doch als die Cafés, Restaurants und Pubs in der Markthalle schlossen, leerte sich der Platz ziemlich schnell, undschon bald befanden sich nur noch so wenige Menschen in der Nähe, dass ich es endlich riskieren konnte, meine kleine Geisterjagd zu inszenieren.
    Unter den Koryphäen der Geisterkunde herrschte eine gewisse Meinungsverschiedenheit in der Frage, was genau einen Geist ausmachte. Polidori behauptete, Geister seien die entleiblichten Seelen Verstorbener, die sich nicht von einer bestimmten Örtlichkeit trennen mochten; nach seiner Theorie ernährten sie sich von ihrem eigenen Geist und würden, sofern dieser Geist nicht immer wieder durch neue magische Kräfte aufgefüllt würde, irgendwann zu einem Nichts verblassen. In seinem Werk
The Persistence of Phantasmagoria in Yorkshire
, erschienen 1860, schloss sich Richard Spruce im Wesentlichen Polidoris Auffassung an, fügte jedoch hinzu, dass sich Geister auch von der Magie ihrer Umgebung ernähren könnten, so ähnlich, wie Moose ihre Lebenskraft von ihrem felsigen Untergrund bezögen. Peter Brock schrieb in den 1930er-Jahren, Geister seien nichts weiter als Inschriften, die in das magische Gewebe ihrer Umgebung eingraviert worden seien, etwa so, wie Musik auf einer Vinylscheibe aufgezeichnet werden könne. Police Constable Peter Grants höchstpersönliche Ansicht war, dass ein Geist so etwas wie eine grobe Kopie der Persönlichkeit eines Toten sein könnte, die in rudimentärer Form in einer Art magischer Matrix erhalten bleibt.
    Da meine beiden Begegnungen mit Nicholas unter dem Portikus der Schauspielerkirche stattgefunden hatten, begann ich dort mit der Suche. Ein Polizist betrachtet die Welt nicht so wie ein normaler Mensch. Man kann ihn schon daran erkennen, wie er sich in einemRaum umblickt. Sein kühler, misstrauischer Blick ist für jeden sofort erkennbar, der weiß, worauf er achten muss. Das Seltsame dabei ist, wie schnell man sich diese Eigenschaft zulegt. Schon nach meinem ersten Monat als Hilfspolizist hätte ich in dem Moment, als ich durch die Wohnungstür meiner Eltern trat, erkannt, dass mein Vater drogenabhängig war (wenn ich es nicht schon vorher gewusst hätte). Die Anzeichen dafür waren unverkennbar   – obwohl meine Mutter eine Putzfanatikerin war und man in ihrer Wohnung vom Wohnzimmerteppichboden essen konnte   –, wenn man wusste, worauf man zu achten hatte.
    So ungefähr verhielt es sich inzwischen auch mit den
Vestigia
. Als ich meine Hand auf die Kalksteinquader der Portikussäulen legte, stellten sich ähnliche Eindrücke ein wie das letzte Mal   – die Kühle, das vage Gefühl einer Gegenwart, ein leichter Geruch, der an Sandelholz erinnerte   – doch jetzt verarbeitete ich das alles wie ein Streifenpolizist, der gewisse Hinweise von der Straße empfängt, die er patrouilliert, und hatte eine ungefähre Vorstellung davon, was es bedeuten mochte. Allerdings hatte ich erwartet, dass diese
Vestigia
viel stärker sein würden. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie es gewesen war, als ich die Steine zuletzt angefasst hatte: Waren die Eindrücke dieselben gewesen?
    Ich vergewisserte mich rasch, das ich nicht beobachtet wurde. »Nicholas«, flüsterte ich in die Mauer, »sind Sie da drin?«
    Durch meine Hand spürte ich etwas, eine Vibration, ein leichtes Beben wie von einer in der Ferne durchfahrenden U-Bahn . Toby jaulte und wich zurück, ich hörtedas Kratzen seiner Krallen auf dem

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