Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
vor der Tür. Thorby glitt hinaus, um den Besuch zu erkunden, kehrte aber auch gleich darauf mit dem erschöpften Sander zurück, der in den fremden Kleidern, mit den flatternden Haaren – den Hut hatte er unterwegs in den Büschen verloren – gar wild und verstört aussah. »Sendet einen Boten zu Kelly«, – waren die ersten Worte, die er dem Wirt leise zurief; – »aber rasch – rasch – rasch! – Habt Ihr die Ohren verstopft, Holzkopf? Einen Boten sollt Ihr zu Kelly senden!«
»Der Kapitän ist hier«, sagte endlich der durch die wilde Anrede und das wunderliche Aussehen Sanders erstaunte Wirt; – »er hat schon nach Eurem eigenen Boten gefragt.«
Ohne ein weiteres Wort des Alten abzuwarten, schob ihn der junge Mann zur Seite, warf sich die Haare aus der Stirn und trat rasch in den mit Gästen gefüllten Raum. Lauter Jubelruf schallte ihm hier entgegen, und von mehreren Seiten hoben einzelne die Becher zu ihm auf, daß er mit ihnen trinken solle. Aber nur einen Becher ergriff er, leerte ihn, ohne es auch nur erst der Mühe wert zu halten, zu prüfen, was er enthalte, bis auf die Hefe und trat dann, nicht einmal mit einem Kopfnicken dafür dankend, rasch in die vorerwähnte Tür, die er hinter sich verriegelte. Kelly war allein und faßte ihn scharf ins Auge; Sander aber, der nur einmal den Blick scheu im Kreise umhergeworfen hatte, um sich vor allen Dingen zu überzeugen, daß niemand weiter seine Worte hörte, trat dicht an den Kapitän heran und flüsterte leise: »Wir sind verraten.«
Erstaunt sah er zu dem Führer auf, der anstatt, wie er es erwartete, vor der fürchterlichen Botschaft zurückzuschrecken, den ruhigen, kalten Blick fest auf ihn geheftet hielt. Das einzige, was er darauf erwiderte, war: »Weshalb habt Ihr Euren Auftrag nicht erfüllt?«
Sander, hierüber fast außer Fassung gebracht, zögerte einen Augenblick, und Kelly, der gewohnt war, in der Seele der Menschen zu lesen, durchschaute ihn im Nu. Der junge Verbrecher aber, vielleicht mehr durch des Kapitäns Betragen als durch die Frage überrascht, sammelte sich gleich wieder und erzählte nun so kurz, aber auch so genau wie möglich die Vorgänge bei Livelys bis zu des Mulatten Geständnis, bei dem Cook und der Doktor Zeuge gewesen waren. Seine Gründe, weshalb er zu solcher Zeit den Mulatten nicht verlassen durfte, waren – das wußte er auch recht gut – wichtig genug, und alle Nebenpläne mußten jetzt fallen, wo es galt, das Leben vor den aufmerksam gewordenen Bewohnern des Staates zu retten.
Kelly erwiderte ihm keine Silbe, sondern trat nur an das kleine, auf den Strom hinausgehende Fenster und blickte sinnend in das weiße Nebelmeer hinaus, das seine Fläche bedeckt hielt. Sander schritt unterdessen ungeduldig auf und ab, bis ihm das lange Schweigen peinlich wurde und er es mit einem halb ängstlichen, halb trotzigen »Nun, Sir?« brach.
»Nun, Sir?« wiederholte der Kapitän und wandte sich langsam gegen ihn. »Das, was ich lange befürchtete, ist endlich eingetroffen, und es wundert mich weiter nichts, als daß diese sonst so scharfsichtigen Waldläufer mit all ihrem gepriesenen indianischen Spürsinn die Sache nicht früher herausbekommen und uns jetzt vollkommen Zeit gegeben haben, unser Schäfchen ins Trockene zu bringen.«
»Ins Trockene?« fragte Sander erstaunt. »Verdammt wenig Schafe sind's, die ich ins Trockene gebracht habe; ich hoffte auf die morgige Teilung der in Euren Händen befindlichen Vereinskasse; ich habe mich so verausgabt, daß ich nicht einmal die Kajütenpassage nach New Orleans bezahlen könnte. Ins Trockene bringen! – Zum Henker, Kapitän, Ihr nehmt die Sache verdammt kaltblütig! Wißt Ihr denn, daß uns die verdammten Schufte in jedem Augenblick hier auf den Hacken sitzen können? Doch – noch eins – ich muß Euch um Vorschuß bitten, Sir; man weiß doch jetzt nicht, wie die Sachen stehen und was einem passieren kann, und da ist's gut, wenigstens so viel in der Tasche zu haben, um vielleicht für den Augenblick eine kleine Reise machen zu können. Schießt mir fünfhundert Dollar vor und zieht sie mir morgen abend von meinem Anteil ab. Ich muß auch in den Kleiderladen in Helena gehen und mir neue Sachen schaffen. Ich sehe wahrhaftig wie eine Vogelscheuche im Herbst aus und kann mich gar nicht so vor den Damen wieder sehen lassen.«
»Ihr tätet überhaupt besser, Euch von denen heute etwas fernzuhalten«, sagte Kelly ruhig lächelnd; »wie ich gehört habe, ist dort Besuch
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