Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
einen Grund mußte der Fremde gehabt haben, seine Waffe unbrauchbar zu machen. Was es aber auch sei, er fürchtete es nicht, und es lag ihm jetzt fast ebensoviel daran, ihre Pläne zu ergründen und zunichte zu machen, als die Schuldigen zu gleicher Zeit zu ergreifen und der strafenden Gerechtigkeit zu überliefern.
Mehrere Stunden waren so verflossen, und dunkle, rabenschwarze Nacht lag auf dem Strome. – Lautloses Schweigen herrschte, und nur das Wasser schäumte und rauschte um die emporragenden Äste der Sykomore und gegen den breiten Bug des Flatbootes an. Oben vom Himmel aber, doch nur gerade über ihren Häuptern, denn der Nebel erlaubte ihnen nicht, in schräger Richtung seine finsteren, undurchsichtigen Massen zu durchdringen, blitzten einzelne Sterne wie aus mattem Schleier hernieder, und vom nahen Ufer trug dann und wann ein starker Luftzug das Quaken der Frösche und den einsamen Ruf des Ziegenmelkers herüber. Es war eine stille, aber unfreundliche Nacht auf dem gewaltigen Strome. – Die ungesunden Dünste der Niederung rollten in immer dichteren Massen heran und mischten sich mit dem zähen Nebel des Mississippi, und wenn der Himmel auch klar und heiter darüber ausgespannt blieb, so fiel doch ein häßlicher feuchter Schwaden nieder und durchnäßte die ihm Ausgesetzten fast stärker, als es ein derber, aber schnell vorübergehender Regen getan haben würde.
Bill, der schon seit einigen Minuten mehrmals den Kopf erhoben und über das ruhige Boot hingehorcht hatte, warf jetzt seine Decke von sich und stand leise auf. Nichts regte sich, und die ausgestreckten Gestalten Blackfoots und des Alten waren das einzige, was seinem Blick begegnete. Leise und vorsichtig schritt er dem Bug zu und lauschte hier mehrere Minuten aufmerksam irgendeinem entfernten Geräusch. – Er kannte es gut genug; es war das Schäumen der Wasser an der gar nicht mehr weit entfernten Drift. Trieb das Boot von hier fort, so führte es die Strömung unrettbar gegen den künstlich gebildeten Damm von Nr. Einundsechzig, wo es, wenn die Ruder nicht scharf dawider anarbeiteten, auf jeden Fall festrennen mußte. Nur eins blieb zu fürchten; der Ruck, den das Boot tat, sobald es sich in solcher Strömung von seinem Tau befreite oder plötzlich von ihm getrennt wurde, mußte die Schläfer wecken, die überhaupt auf längeren Reisen eine Art gemeinsames Leben mit ihrem Fahrzeug zu haben scheinen und fast jeden Stoß, jede unregelmäßige Bewegung so genau fühlen, als ob die Einwirkung unmittelbar auf sie selbst geschähe. Fanden sie dann das Tau durchschnitten, so war der Verdacht unvermeidlich, und die Folgen konnten für sie beide gefährlich werden. Außerdem blieb es auch ziemlich wahrscheinlich, daß sich die Hosiers in diesem Fall aus Leibeskräften in die Finnen legen würden, um ihr Fahrzeug, solange sie noch wußten, auf welcher Seite das nächste Land eigentlich lag, auch in der im ›Navigator‹ angegebenen Strömung zu halten.
»Ist es Zeit?«, fragte jetzt Blackfoot, der dicht neben ihm lag und vorsichtig den Kopf hob.
»Ja«, sagte Bill leise; – »aber ich weiß nicht –« Er sah auf den Kameraden nieder und bemerkte, wie dieser, ohne weiter eine Erklärung seiner Absicht zu geben, den Arm ausstreckte, so daß seine Hand auf dem fest und stramm angespannten Tau lag; im nächsten Moment vernahm das scharfe Ohr des Steuermanns das Reißen einzelner Hanffasern.
»Gut!« murmelte er leise und lächelte still vor sich hin. »Sehr gut! Wenn du aber –«
Blackfoot winkte ihm ungeduldig, er möge sich entfernen, um die Aufmerksamkeit der vielleicht Erwachenden nicht unnützerweise hierher zu lenken, und Bill, der noch einen flüchtigen Blick umhergeworfen hatte, folgte schnell der Aufforderung, deren Zweckmäßigkeit er selber einsah. Ebenso leise wie er gekommen, schritt er wieder auf seinen früheren Platz zurück und warf sich hier, in seine Decke gehüllt, aufs neue nieder; jetzt aber mit dem Gesicht dem Steuerruder zu, damit er, sobald sich das Boot von seinem Halt losrisse, die Richtung, die es nähme, im Auge behalten und seine Berechnung der Inselnähe danach machen könne. Edgeworth hatte, als der Steuermann nach vorn ging, vorsichtig nach seiner Büchse gegriffen und den Kopf gehoben, um zu sehen, was jene miteinander trieben. Die stille Nacht trug ihm auch die leise gemurmelten Laute einer Stimme, aber nicht die Worte selbst herüber, und als er bald darauf die lange Gestalt seines Lotsen wieder auf ihren
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