Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
deutlich hören – wieder zurück, und es war fast, als ob es in gerader Richtung hinter ihnen herfahre. Eine Pause fürchterlicher, peinlicher Erwartung machte fast den Atem der Männer stocken; die Verfolger konnten kaum zwanzig Schritt von ihnen entfernt sein, und mit jedem Augenblick erwarteten sie den Ruf, daß sie entdeckt wären. Da hörten für kurze Zeit die Ruderschläge auf. Jene hielten wahrscheinlich eine kurze Beratung, wohin sie ihren Kurs richten sollten; denn einige Minuten lang blieben sie halten, und so nahe lagen sie dabei dem Flatboot, mit dem sie jetzt stromab trieben, daß sie auf diesem die Stimmen von dort herüber hören und sogar abgebrochene Worte und Flüche verstehen konnten. Endlich griffen die fremden Bootsleute wieder zu den Rudern; sie fürchteten sicherlich, zu weit hinabzukommen und dann im Nebel den Rückweg zu verfehlen.
Dicht hinter dem Indianaboot strichen sie vorbei, und zwar dorthin zu, wo Edgeworth Land vermutete, und gleich dar auf tönte noch einmal der frühere Ruf über den Strom. Er wurde nicht beantwortet, und lautlos glitt die ›Schildkröte‹ mit der Flut fort, während die Ruderschläge nach und nach in immer weiterer Ferne langsam verhallten.
Kapitel 27
An demselben Abend, an welchem Kelly im ›Grauen Bären‹ jene Anordnungen traf, die den Schlag wenn auch nicht von ihren Häuptern abwenden, doch ihn noch aufhalten sollten, bis sie selbst einer Entdeckung und Verfolgung lachen konnten, ging Georgine, die Königin dieses Verbrecherstaates, mit raschen, ungeduldigen Schritten in ihrem kleinen prachtvollen Gemach auf und ab. Nur dann und wann blieb sie am Fenster, um hinauszuhorchen, als ob sie jemanden erwarte, der immer und immer noch nicht kommen wolle.
Die Augen des schönen Weibes glühten in Zorn und Unmut; ihre kleinen, schwellenden Lippen waren fest zusammengepreßt, ihre feingeschnittenen Augenbrauen berührten sich fast, und der zierliche Fuß stampfte mehrmals in rücksichtslos ausbrechendem Unmut den teppichbelegten Boden. Kelly hatte am Donnerstag morgen fast mit Tagesanbruch die Insel verlassen und sie seit der Zeit nicht wieder betreten; ihr ausgesandter Bote, der Mestize, ein Knabe, den sie aufgezogen und der sich nur ganz und allein ihrem Dienste geweiht hatte, war ebenfalls nicht zurückgekehrt und ihre Gefangene entflohen – Gott allein wußte, wohin; Grund genug, ein Gemüt wie das ihre zu äußerster Aufregung zu treiben. Zwar hatte sie schon mehrere Boten dem Mestizen nachgeschickt, doch umsonst; keiner konnte ihr Nachricht über ihn bringen, keiner wollte ihn gesehen haben. Nur noch einer fehlte jetzt – Peter –, und lange Stunden hatte sie in immer peinlicher werdender Ungeduld gewartet, ihn zu sehen und günstigen Bericht von ihm zu hören. Endlich konnte sie das ruhige, untätige Harren nicht länger ertragen; sie öffnete rasch und heftig die Tür und wollte eben zur ›Bachelor's Hall‹ hinüberschreiten, als das schmale Eingangstor knarrte und gleich darauf Peters breitschultrige Gestalt aus dem jetzt dicht auf der Insel lagernden Nebel hervortrat. Als er die winkende Bewegung der Herrin sah, schritt er auf sie zu und mußte ihr augenblicklich zurück in das Haus folgen. Hier aber kündete sein ernstes, bedenkliches Gesicht keineswegs Gutes, und er wollte auch im Anfang gar nicht so recht mit der Sprache heraus. Georgine jedoch, die ihn erst mehrere Sekunden lang scharf und prüfend fixierte, faßte plötzlich seine Hand, zog ihn zur eben entzündeten Ampel, die ein sanftes, wohltuendes Licht über den kleinen Raum warf, und flüsterte endlich, als ob sie durch den leisen Ton der Frage die schon gefürchtete Antwort zu mildern hoffte: »Wo ist Olyo?«
»Ich weiß nicht«, lautete die halb scheue, halb mürrische, kurz herausgestoßene Antwort des Narbigen, der dabei den Kopf zur Seite wandte und mit der anderen freien Hand emsig in seiner Tasche nach dem Kautabak suchte.
»Wo ist Olyo?« wiederholte aber mit noch dringenderem, ernsterem Tone die Gebieterin. – »Mensch, sieh mich an und beantworte mir meine Frage: Wo ist Olyo?«
»Ich weiß es nicht, habe ich Euch schon gesagt«, knurrte der Bootsmann und spuckte seinen Tabak ziemlich ungeniert auf die blankgescheuerten Messingzierate des Kamins; – »ich bin im ganzen Walde herumgekrochen, habe ihn aber nicht finden können.«
»Im Walde? Weshalb im Walde?« fragte Georgine mißtrauisch. – »In der Stadt mußte er sein, nicht im Walde. Weshalb suchtest du ihm
Weitere Kostenlose Bücher