Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
doch wohl eine Ader gesprengt und nicht recht abgebunden, und wir wollen jetzt nur des Kapitäns Ankunft abwarten, daß dieser beschließt, was mit dem Schufte werde soll. Wenn's kein Neger wäre, so hätten wir uns allerding nicht so viel Mühe um die Sache gegeben; denn Corny hatt ihn auch genug gereizt, und sie konnten's zusammen ausmachen. Daß sich aber ein Neger an einem Weißen ungestraft vergreifen sollte, dürfen wir doch nicht gestatten, sei's auch nur des bösen Beispiels wegen, und Kapitän Kelly mag deshalb bestimmen, was mit ihm werden soll. Losgeben darf er ihn aber nicht; die Leute sind wütend auf das schwarze Fell.«
»Bring ihn hierher!« sagte Georgine jetzt, als sie wie aus tiefem Sinnen emporfuhr.
»Wen? Den Neger?«
»Bolivar, gebunden wie er ist und schicke mir zwei von den Männern mit! – Wähle ein paar von Cornys Freunden!«
»Hm«, meinte der Alte, »da bedeutet das wohl nichts Gutes für den Schwarzen. Wenn Ihr übrigens glaubt, daß ihr den zu irgendeinem Geständnis zwingt, so seid Ihr verdammt irre; der ist störrisch wie ein Maulesel. Doch meinetwegen; ich gehe indessen, um mein Wort zu lösen; wenn Ihr mir und Euch übrigens einen Gefallen tun wollt, so erwähnt nichts gegen den Kapitän, wenn er etwa kommen sollte.«
Mit diesen Worten verließ er das Zimmer; Georgine aber warf sich, kaum von seiner Gegenwart befreit, auf die Ottomane und machte ihrem gepreßten und bis dahin nur gewaltsam bezwungenen Herzen Luft in einem wilden, lindernden Tränenstrom. Der Schmerz des schönen, leidenschaftlichen Weibes konnte sich aber nicht auf solch sanfte Art brechen; ihr Charakter wollte nicht leiden und dulden, er wollte ankämpfen gegen den Druck, der ihn beengte, und Rache üben an dem, der es wagte, ihr feindselig gegenüberzutreten. Grenzenloser Liebe war sie fähig, aber auch grenzenlosen Hasses, und diese Leidenschaften wurden nur verstärkt, da Zweifel und Eifersucht die eine umnachtete, während noch immer die Gewißheit fehlte, der anderen freien und ungehinderten Lauf zu lassen. Sie hatte Richard Kelly mit einer Stärke geliebt, die sie selbst erbeben machte; – alles – alles hatte sie ihm geopfert, Gefahren mit ihm geteilt, Verfolgung und Not mit ihm getragen; in seinen letzten Schlupfwinkel war sie ihm gefolgt; unter dem Auswurfe der Menschheit lebte sie mit ihm für ihn; jede Rückkehr in das gesellschaftliche Leben war ihr abgeschnitten; ihre einzige Hoffnung auf dieser Welt war er, der einzige Stern, zu dem sie bis jetzt mit Vertrauen und Liebe emporblickte, er, der einzige Gott fast, zu dem sie gebetet, er, und jetzt – zum ersten Male der fürchterliche Verdacht, – nein fast die Gewißheit schon, daß er falsch sei. Das alles machte ihr Hirn schwindeln, jagte ihr das Blut in Fieberschnelle durch die Adern. Er war schuldig; – wozu brauchte er denn auch sonst ihren Boten zu fürchten? Wozu hätte er – großer allmächtiger Gott, die Sinne vergingen ihr, wenn sie den Gedanken fassen wollte! – das Kind ermorden lassen?
»Gewißheit!« stöhnte sie mit krampfhaft gefalteten Händen. – »Heiland der Welt, gib mir Gewißheit, nur Gewißheit, und überlaß das übrige mir! Richard, Richard, wenn du dein Spiel mit mir getrieben hättest –«
Ein Stimmengewirr wurde vor der Tür laut, und als sie öffnete, standen etwa ein halbes Dutzend der Insulaner davor, von denen einige Fackeln trugen, andere den gebundenen Neger in der Mitte führten. Bolivar schritt trotzig zwischen ihnen einher; den Kopf umwand eine Binde, und das eine Auge war ihm vom Kampfe mit der Übermacht angeschwollen. Des Messers hatten sie ihn beraubt, daß er nicht doch noch Unheil damit anrichte.
Georgine trat auf ihn zu, sah ihm erst einige Sekunden lang fest und starr in das halb trotzig, halb scheu zu ihr aufgeworfene Auge und sagte dann, während sie ein kleines silberverziertes Terzerol spannte und in der Hand hielt, jetzt aber auch in kaum zwei Fuß Entfernung von dem Afrikaner stehenblieb: »Bolivar, – deine Tat ist verraten; – du bist in meiner Macht, und kein Gott könnte dich vor der verdienten Strafe retten, wäre nicht noch ein anderer hineinverwickelt, dessen Entdeckung mir wichtiger ist als dein Leben, Sklave! Du hast den Knaben, der deiner Obhut anvertraut wurde, ermordet, in jener Bucht drüben den Leichnam versenkt. Du siehst, ich weiß alles; jetzt gestehe aber auch, so dir dein schwarzes Leben nur den Wert einer Glasperle hat, was und wer dich dazu bewogen hat. Der
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