Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
seinen Verfolgern entdecken mußte. Posten wurden dann auch, um jeder anderen, bis jetzt noch unbekannten Gefahr zu begegnen, an all den Plätzen ausgestellt, wo eine Landung überhaupt möglich war, und die Bewohner der Insel erhielten gemessenen Befehl, ihre Sachen gepackt in Bereitschaft zu halten, um jeden Augenblick zum Aufbruch fertig und gerüstet zu sein. Ihre Boote mußten zu diesem Zweck doppelt bewacht und überhaupt alles getan werden, den Ausbruch des ihnen drohenden Wetters so lange wie möglich zu verzögern. Noch war ja auch nicht einmal die Gewißheit da, daß ihr Schlupfwinkel ernstlich verraten sei, denn die beiden, die auf dessen Erforschung ausgegangen waren, konnten unschädlich gemacht werden.
Ließen sich die Bewohner von Helena und besonders die der Umgegend wieder beruhigen, so wäre es töricht gewesen, in unkluger Furcht voreilig einen Platz zu verlassen, wie es vielleicht keinen zweiten für sie in den Vereinigten Staaten gab. Auf jeden Fall konnten sie ihn dann so lange behaupten, bis sie imstande waren, all ihre Habseligkeiten in die südlicher gelegenen Staaten, besonders nach Texas und Mexiko zu schaffen, so daß, wenn später je einmal eine Nachsuchung gehalten wurde, die Nachbarn höchstens den leeren Horst, die Geier aber ausgeflogen fanden. Zu diesem Zwecke mußte Kelly jedoch augenblicklich wieder nach Helena hinauffahren und wollte nur in dem Fall gleich zu ihnen zurückkehren, wenn unverzögerte Flucht nötig werden sollte. Galt es die letzte Rettung, so blieb ihnen auch immer das letzte Mittel gewiß, sich Bahn zu hauen, ehe die Feinde auch nur eine Ahnung bekamen, wie stark und zahlreich sie wären.
Diese Anordnungen waren alle so umsichtig getroffen und die Kräfte derer, deren Macht sie zu fürchten hatten, so genau dabei berechnet, daß wirklich eine ganz genaue Kenntnis jener Verhältnisse dazu gehörte, mit solcher Sicherheit selbst den letzten Augenblick abzuwarten, wo eine einzige versäumte Stunde alles ins Verderben stürzen konnte. Sei es aber nun, daß die Insulaner von der Nähe der Gefahr nicht so genau unterrichtet waren, denn Kelly teilte ihnen nur das mit, was sie notwendigerweise wissen mußten, oder vertrauten sie ihm und seiner Klugheit wirklich so sehr, kurz, die meisten schienen die Sache ungemein leicht zu nehmen und verließen sich auf ihre Übermacht. Solche lange Ungestraftheit ihres verbrecherischen Treibens hatte sie übermütig gemacht, und einige äußerten sich sogar ganz offen darüber, es wäre ihnen gleichgültig, ob sie entdeckt seien oder nicht. Den wollten sie sehen, der sie hier in ihrer eigenen Feste angriffe.
Kelly dachte hierüber freilich anders und kannte recht gut die Gefahr, die ihnen drohte, wie auch die Mittel, die ihnen zu Gebote standen, um ihr zu begegnen. Ihn beunruhigte aber auch jetzt das Ausbleiben des schon längst von Indiana erwarteten Bootes; denn der Zeit nach, und wenn es fortwährend flottgeblieben war, hätte es die Insel lange erreichen und passieren müssen. Der entsetzliche Nebel erklärte freilich einigermaßen dieses Zögern. Entweder hatte der alte Hosier die Sicherheit seines Bootes nicht preisgeben wollen, oder Bill mochte auch selbst gefürchtet haben, vielleicht zu früh aufzulaufen oder gar vorbeizurennen und die kostbare Beute dadurch aufs Spiel zu setzen.
Es schien indessen, als ob sich der Nebel lichten würde, der Wind fing wenigstens an zu wehen, hierfür immer ein gutes Zeichen, und es war also möglich, daß jenes Fahrzeug mit oder vielleicht gleich nach Tagesanbruch eintreffen würde. Während sich jetzt die Männer über die Insel zerstreuten, um die gegebenen Befehle zu erfüllen und ihr Asyl gegen Verrat zu schützen, schritt Kelly langsam zu dem Neger zurück und legte leise seine Hand auf dessen Schulter. Der Afrikaner zuckte zusammen, als er den leichten Druck der Finger auf seiner Achsel fühlte; sie hatten eine durch die Peitsche gerissene Wunde getroffen. – Bald erkannte er aber seinen Herrn und erhob sich schweigend.
»Bolivar«, flüsterte der Kapitän und blickte finster in das Antlitz des treuen Negers, »sie haben dich mißhandelt und mit Füßen getreten, weil du mir ergeben bliebst?«
Der Neger knirschte mit den Zähnen und warf den funkelnden Blick zu dem hellerleuchteten Fenster der Herrin hinüber.
»Ich weiß alles«, sagte Kelly und hob beruhigend die Hand gegen ihn auf; »aber vielleicht ist es gut, daß es so gekommen ist, auf keinen Fall soll es dein Schade sein.
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