Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
irgendeine Richtung anzugeben, wenn man sich in starkem Nebel auf seiner ruhigen Fläche befindet.
O'Toole ruderte nun zwar, als er das Ufer nicht mehr erkennen konnte, noch eine ganze Weile ruhig nach der Gegend fort, die er für die rechte hielt; gar bald aber machten ihn einzelne Stücke schwimmenden Holzes irre, und er hielt einen Augenblick, um zu sehen, welchen Weg diese trieben. Ja, die lagen, als er selbst mit Rudern aufhörte und also ebenfalls seinen Kahn der Flut überließ, gerade so ruhig da wie er selbst, und das Ganze sah aus wie ein von dichtem Dampf umschlossener See, der weder Ab- noch Zufluß habe und vollkommen stillstehe. Er beobachtete nun eine Zeitlang einzelne treibende Stämme, um zu sehen, auf welche Seite die Flut gegen sie drücke; das war aber nicht möglich; sie schwammen eben ungedrängt im Wasser und zeigten, da sie der Flut auch nicht den geringsten Widerstand leisteten, sondern sich ruhig mit fortnehmen ließen, auch nicht den mindesten Einfluß der Strömung. Er fing jetzt wieder an zu rudern, aber auch das blieb sich gleich; es war eben, als ob er auf einem Teiche oder stillen See herumfahre, und wo Ost, Nord oder West sein könnte, wurde ihm jetzt zu einem vollständigen Rätsel. Der Fluß lag in spiegelglatter Ruhe um ihn her, und nur die Nebel schwebten in dichten, fest ineinander gedrängten und, wie es schien, vollständig miteinander verbundenen Wölkchen darüber hin und wichen und wankten nicht. Was hätte er jetzt für einen einzigen, noch so fernen Blick des Ufers gegeben, um nur eine Ahnung zu bekommen, wo er sich eigentlich befinde. Der Wunsch schien aber nicht in Erfüllung zu gehen, ja die Dämmerung fing sogar an deutlich merkbar zu werden und er zweifelte nun fast daran, die Insel oder sogar in vielen Meilen Entfernung ein Ufer zu erreichen.
Nun gibt es allerdings ein Mittel, selbst in solchem Verhältnis und ohne Kompaß eine gerade Richtung beizubehalten; ist man nämlich gänzlich im Zweifel, woher die Strömung kommt oder wohin sie geht, so braucht man nur so lange im Kreise herumzurudern, bis man die Flut vorn unter dem Bug rauschen hört. Dann kann man überzeugt sein, daß man gegen die Strömung anhält, und ist nun imstande, die Richtung zu bestimmen. Allerdings würden aber selbst dann nur wenige Ruderschläge den Rudernden wieder auf den alten Fleck bringen; denn weil die seitwärts gegen das Fahrzeug andrängende Wassermasse auch den Bug bald stärker, bald schwächer niederdrückt, je nachdem, ob man ein ganz klein wenig mehr auf- oder abhält, so wäre es unmöglich, die Richtung so genau im Gefühl der Hand zu haben. Das einzige Mittel in diesem Falle ist – da man doch in einem zweirudrigen Boot mit dem Rücken nach vorn sitzt – die Augen fest auf das Fahrwasser seines Kahns zu halten, d.h. auf den Streifen, den das Boot beim schnellen Durchschneiden des Wassers hinter sich läßt. So lange dieser eine durchaus gerade Linie beschreibt – denn eine kurze Strecke kann man selbst beim stärksten Nebel sehen –, so lange behält auch das Boot dieselbe bei; die geringste Abweichung würde es gleich hinter dem Heck durch eine krumme Linie verraten. Man darf aber während dieser Zeit natürlich keinen Augenblick mit Rudern aufhören oder nachlassen, weil eine gleichmäßige Fortbewegung zu solcher Bestimmung unumgänglich nötig ist.
Davon hatte jedoch O'Toole, der sich sonst wenig mit Wasserfahrten beschäftigte, keine Ahnung; er wußte nur, daß er noch nicht weit genug vom Land entfernt sein könne, um sich schon oberhalb der Insel zu befinden. Trieb er also jetzt mit der Strömung abwärts, so führte ihn diese an seinem Ziele vorbei, und rasch griff er daher wieder zu den Rudern. Nur einmal noch betrachtete er mit prüfendem Blick die ruhige Nebelfläche um sich her, drehte dann den Bug dorthin, wo er die Mitte des Stromes vermutete, und zeigte in Handhabung der elastischen Ruder bald so viel Energie, daß das Wasser an seinem Bug rauschend schäumte und hoch aufspritzte. So arbeitete er wohl eine volle Stunde lang, daß ihm der Schweiß in großen perlenden Tropfen auf der Stirn stand und er bei richtiger Führung den Mississippi schon zweimal gekreuzt haben konnte, aber er bekam kein Land zu sehen, weder rechts noch links, weder vor noch hinter sich, und fühlte nun wohl, daß er in die falsche Richtung gefahren sei.
Einen Augenblick ließ er die Ruder sinken und wischte sich den Schweiß von der Stirn; dann aber ergriff er sie wieder und
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