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Die folgende Geschichte

Die folgende Geschichte

Titel: Die folgende Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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aus unserer komischen Gruppe eine Gesellschaft machte, ohne daß jemand sich zu fragen schien, warum. Als ich bei Alonso Carnero angelangt war, wußte ich nicht mehr, was ich ihm hatte sagen wollen. Das einzige, was mir einfiel, war: »Woran denkst du?« Er zuckte mit den Achseln und sagte: »An die Fische im Meer«, und natürlich mußte ich dann auch daran denken, an all dies unsichtbare, von uns abgewandte Leben Tausende von Metern unter uns, und ich erschauerte und ging in meine Kajüte.
    In dieser Nacht träumte ich wieder von mir selbst in meinem Zimmer in Amsterdam. Tat ich denn nie etwas anderes als schlafen? Ich wollte mich wecken und merkte, wie ich das Licht in meiner Kajüte anknipste, verwirrt, verschwitzt. Ich wollte diesen schlafenden Mann nicht mehr sehen mit dem offenen Mund und den blinden Augen, die Einsamkeit dieses sich hin und her wendenden, wälzenden Körpers. Nach Maria Zeinstra hatte ich nie wieder die Nacht mit jemandem verbracht, es war, dachte ich damals, meine letzte Chance auf ein wirkliches Leben gewesen, was immer das bedeuten mochte. Zu jemandem gehören, zur Welt gehören, derlei Unsinn. Einmal hatte ich sogar von Kindern gesprochen. Hohngelächter. »Wir werden doch auf keine merkwürdigen Ideen unter dieser Glatze kommen«, hatte sie gesagt, als spräche sie zu einer ganzen Klasse. »Du und Kinder! Manche Menschen dürfen nie Kinder haben, und zu denen gehörst du.«
    »Du tust, als ob ich eine schreckliche Krankheit hätte. Wenn du mich so eklig findest, warum gehst du dann mit mir ins Bett?«
    »Weil ich das sehr gut auseinanderhalten kann. Und weil ich Lust darauf habe, wenn du das vielleicht hören willst.«
    »Vielleicht mußt du deine Kinder dann doch von deinem dichtenden Basketballer bekommen.«
    »Von wem ich sie bekomme, ist meine Sache. Auf jeden Fall nicht von einem schizophrenen Gartenzwerg aus dem Antiquitätengeschäft. Und Arend Herfst ist für dich kein Gesprächsthema.« Arend Herfst. Dritte Person. Der Fleischkloß mit dem eingebauten Dichtergrinsen.
    »Und außerdem, schreib erst mal selbst ein Gedicht. Und ein bißchen Sport würde dir auch nicht schaden.« Das stimmte, denn dann hätte ich jetzt vielleicht fliegen können, anstatt mit dem Schiff zu fahren. Raus aus der Kajüte, die Arme weit ausbreiten und wegfliegen, das schlafende Schiff zu meinen Füßen, die einsame Wache im gelblichen Licht, unser Fährmann, mich lösen von all den anderen, hinein in die tiefe Dunkelheit.
    Ich zog mich an und ging an Deck. Sie waren alle da, es kam mir vor wie eine Verschwörung. Sie standen um Captain Dekobra herum, der mit einem Fernglas den Himmel absuchte. Es konnte keinesfalls dieselbe Nacht sein, denn es gibt Nächte, in denen die Sterne es darauf angelegt haben, uns Angst einzujagen, und diese war eine davon. So viele wie in dieser Nacht hatte ich noch nie gesehen. Ich hatte das Gefühl, als könnte ich sie durch das Geräusch der See hindurch hören, als riefen sie uns, verlangend, wütend, höhnend, durch das Fehlen allen sonstigen Lichts standen sie wie in einer Halbkuppel über uns, Lichtlöcher, Lichtstaub, lachten über die Namen und Zahlen, die wir ihnen gegeben hatten in jener späten Sekunde, als wir erschienen waren. Sie wußten selbst nicht, wie sie hießen, welche albernen Gestalten unsere beschränkten Augen einmal in ihnen erkannt hatten, Skorpione, Pferde, Schlangen, Löwen aus brennendem Gas, und darunter wir, mit diesem unausrottbaren Gedanken, wir seien der Mittelpunkt, und tief unter uns noch so eine geschlossene Kuppel, so daß uns ein sicherer, runder Schutz umgab, der seine Gestalt nie verändern würde.
    Das Meer glänzte und wogte, ich hielt mich an der Reling fest und sah zu den anderen. Zu beweisen war nichts, aber sie hatten sich verändert, nein, sie waren schon wieder verändert. Manche Dinge waren nicht mehr da, Linien fehlten, immer sah ich, ganz kurz, bei einem den Mund nicht, oder ein Auge, für den Bruchteil einer Sekunde war ihre Erkennbarkeit verschwunden, dann sah ich den Körper des einen in dem des anderen, als hätte eine Demontage unserer Festigkeit eingesetzt, und zugleich verstärkte sich der Glanz dessen, was sichtbar war, wenn es nicht so idiotisch klingen würde, hätte ich gesagt, daß sie strahlten. Ich hielt die Hände vor die Augen, sah jedoch nichts anderes als meine Hände. Mir passieren nie Wunder, und somit gab es keinerlei Grund dafür, daß die anderen mich so seltsam ansahen, als ich näher trat.
    »Siehst

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