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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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denen wir bereits begegnet sind. Es geht um ein rekurrentes Wechselspiel zwischen Vorhersagen, Handlungen und Interpretationen. Wie wir gesehen haben, beruht jeder dieser Prozesse auf Lernen durch Diskrepanzen und Korrelationen. Und diese wiederum kreisen um unsere doppelte Rückkopplungsschleife aus Verstärkung und Wettbewerb, angetrieben durch ein Gleichgewichtvon Populationsvariabilität und Persistenz. Kreatives Handeln erfordert keine grundsätzlich neuen Parameter oder Prinzipien, nur weitere Ebenen von Kooperation, kombinatorischer Interaktion und Rekurrenz. Es ist damit eine weitere Ausformung der Formel des Lebens.
    Vielleicht wirkt dieses Bild von der Kreativität etwas dürftig. Wie kann etwas so Wunderbares wie unsere eigene Schöpfungskraft sich auf eine Formel für Wechselwirkungen reduzieren lassen, die auch bei anderen Wandlungsprozessen des Lebens gilt? Natürlich unterscheidet sich menschliche Kreativität qualitativ erheblich davon, wie ein Hund lernt, bei einem Klingelton zu speicheln, oder ein Affe, nach einer Belohnung zu greifen. Meines Erachtens ist aber eine solche qualitative Beurteilung um nichts gültiger als die Aussage, dass ein Frosch sich qualitativ von dem Ei unterscheidet, dem er entstammt, oder dass das Bakterium E. coli etwas qualitativ anderes ist als die ersten lebenden Organismen, die vor einigen Milliarden Jahren entstanden sind. Diese scheinbar qualitativen Unterschiede ergeben sich nicht aus irgendeinem mysteriösen neuen Element; sie sind einfach nur Folgen davon, wie die Parameter der Formel des Lebens wirken und einander beinflussen.
    Seit Darwins Zeiten haben Wissenschaftler immer wieder versucht, eine klare Grenze zwischen Kreativität und Vorgängen des biologischen Wandels zu ziehen. Dieser Ansatz war nötig, um die Fehlmeinung auszuschließen, dass biologische Prozesse auf externe Steuerung oder einen Schöpfer zurückzuführen sein könnten. Diese Trennung hatte aber die unglückliche Folge, dass die menschliche Kreativität von anderen biologischen Prozessen abgetrennt wurde – sie ordnet menschliche Handlungen einer getrennten Kategorie zu und separiert uns von unseren tierischen Verwandten. Vielleicht ist diese Trennung für den einen oder anderen ein Trost; ich aber glaube, genau diese Ansicht ist irreführend und schwach. Meines Erachtens verschafft uns die Anerkennung der formalen Ähnlichkeiten zwischen unserem schöpferischen Handeln und anderen biologischen Prozessen sowohl einen befriedigenderen Blick auf das Leben insgesamt als auch eine treffendere Einschätzung dessen, wo wir darin unseren Platz haben. Keinesfalls mindert es das Wunder der menschlichen Kreativität, es stellt es nur in einen weiteren biologischen Zusammenhang.
    Bisher habe ich die formalen Ähnlichkeiten zwischen Lernen, Evolution und biologischer Entwicklung aufgezeigt – es handelt sich bei allen um Ausformungen derselben Formel des Lebens. Doch es besteht noch eine weitere Verbindung zwischen ihnen. So, wie wir nachgewiesen haben, dass die biologische Entwicklung auf der Evolution fußt (Kapitel 5), ist auch das Lernen in Evolution und biologische Entwicklung eingebettet. Unsere drei Instanzen der Formel des Lebens sind historisch genauso verbunden wie formal. Diesen historischen Bezug will ich nun näher betrachten.

K APITEL 10
DIE RAHMUNG DER FORMELN
    Das Märchen von Sindbad dem Seefahrer beginnt in einer engen, geschäftigen Gasse von Bagdad. Eines Tages ging ein Lastträger mit einer schweren Last auf dem Kopf durch diese Gasse und beschloss, sich vor einem der Häuser zur Rast zu setzen. Aus dem Haus und dem Garten hörte er Gesang und roch köstliche Speisen, und da beklagte er laut, wie ungerecht es doch sei, dass die einen für so wenig Mühe so viel Freude und Lust erhielten, während er sich mit seinen Lasten so abmühen musste und kaum entlohnt wurde. Kaum hatte er diese Worte gesagt, da trat ein Diener aus dem Haus und erklärte dem Lastträger, sein Herr wolle mit ihm sprechen. Der Herr, Sindbad, war freundlich zu dem Träger und lud ihn zu dem Festessen ein. Dann machte sich Sindbad daran, dem Lastträger und den anderen Gästen die Geschichte seiner vielen Abenteuer und Reisen zu erzählen.
    Diese Einleitung zu Sindbad der Seefahrer bezeichnen wir als Rahmenerzählung. Sie bildet den Hintergrund für die Märchen, die Sindbad jetzt erzählt, und ergibt eine Geschichte, die die anderen, darin enthaltenen Geschichten umrahmt. Die Rahmenerzählung des Trägers wird

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