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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Autoren: Enrico Coen
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übrigens für andere Erzeugnisse wie Kleidung, Schrift oder Bildhauerei. Weil die Menschen Gegenstände besitzen, die über die Zeit hinweg andauern können, können sie davon lernen und auf den Mühen ihrer Vorgänger aufbauen.
    Persistenz kann auch durch die Anfertigung von Kopien erreicht werden. Bis in Leonardos Zeiten wurde noch ganz verbreitet von Hand oder mit Hilfe von Holzdruckplatten kopiert. Mit der Erfindung der Druckerpresse mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg um 1430 ließen sich Kopien sehr viel effizienter herstellen. Um 1500 gab es Gutenberg-Pressen in 236 europäischen Städten, etwa 20 Millionen Bücher in verschiedenen Sprachen waren bereits gedruckt. 126 Leonardo profitierte von diesem historischen Glücksfall, denn er erwarb in seinem Leben über 100 gedruckte Bücher über Themen von der Mathematik und Philosophie über Naturgeschichte bis zur Dichtung. Der Buchdruck spielte fortan eine entscheidende Rolle dabei, welche Gedanken dauerhaft präsent bleiben und sich ausbreiten konnten. Zudem wurden immer neue Kopiermethoden entwickelt, etwa die Fotografie und die elektronische Verbreitung im Internet. Weiterhin lassen sich Kopien durch repetitive Produktion generieren. Die Massenherstellung von Kleidung, Besteck und Autos greift ausnahmslos auf Maschinen zurück,die die immer gleichen Handlungen wiederholt ausführen. Anders als beim Drucken dient nicht ein Auto als direkte Vorlage für ein anderes; Autos entstehen, indem immer wieder derselbe Fertigungsprozess wiederholt wird.
    All diese Formen der Persistenz – persönliche Instruktion, dauerhafte Erzeugnisse und Kopieren – ermöglichen kulturellen Leistungen eine fortdauernde Wirkung. Ohne Persistenz würde jeder individuelle Fortschritt, egal wie großartig er wäre, mit seinem Erfinder zu Grabe getragen und könnte kaum kulturelle Bedeutung erlangen.
    Kulturelle Persistenz und Variabilität sind eng miteinander verbunden. Beide ranken sich um die menschliche Fähigkeit zur Kommunikation, insbesondere durch die Sprache. Kommunikation ist wichtig, um durch Austausch zwischen Menschen Variabilität zu erschaffen, aber auch, damit Wissen und Fertigkeiten erhalten bleiben. Variabilität allein würde ein Gewimmel vergänglicher Ideen und Handlungen schaffen, und Persistenz allein würde zur Stagnation führen. Erst ein Gleichgewicht zwischen Variabilität und Persistenz ermöglicht wirksam kulturellen Wandel.
KULTURELLE VERSTÄRKUNG
    Populationsvariabilität und Persistenz sind Grundvoraussetzungen für kulturellen Wandel, den Antrieb für Veränderungen der gesamten Population aber stellt ein weiterer Parameter dar: die Verstärkung. Durch die öffentliche Ausstellung von Gemälden in Florenz konnte der Ruf von Künstlern wie den Pollaiuolos, Verrocchio oder Leonardo sich in der Bevölkerung ausbreiten. Wenn jeder, dem ein Gemälde gefällt, zwei anderen Menschen davon erzählt, dann breitet sich die Botschaft bereits aus wie ein Lauffeuer. Und mit der Ausbreitung ihres guten Rufs können Künstler weitere lukrative Aufträge akquirieren, die dann ihren Ruf noch weiter stärken. Erfolg schafft Erfolg. Selbst die Leistungen von Künstlern wie van Gogh oder Cézanne, deren Erfolg sich zu ihren Lebzeiten in Grenzen hielt, wurden später durch andere verstärkt, die ihre Arbeit anerkannten und verteidigten.
    Dass bestimmte Leistungen in menschlichen Populationen tendenziell verstärkt werden, liegt daran, dass die Menschen übergemeinsame Werte verfügen; häufig mögen sie das gleiche und verspüren Abneigung gegen das gleiche. In den vorigen Kapiteln haben wir gesehen: Was wir lernen und tun, hängt davon ab, was wir für wertvoll erachten. Wertvoll sind für uns Dinge wie Nahrung, Sex, Bequemlichkeit, Besitz, Land, Geld, gesellschaftlicher Status, Wissen und Schönheit. Und da viele dieser Werte in einer Population Gemeingut sind, werden Leistungen, die mit diesen Werten übereinstimmen, tendenziell verstärkt und verbreitet.
    Dabei haben nicht alle Individuen in einer Population wirklich exakt dieselben Werte, und zwar wegen der Unterschiede in Herkunft und Erziehung. Das heißt, manche Leute schätzen bestimmte Werte wie Besitz, Geld oder Wissen höher als andere. Außerdem gibt es Experten, die Dinge wertschätzen, deren sich andere gar nicht wirklich bewusst sind. Bei der Betrachtung der Gemälde der Gebrüder Pollaiuolo sahen und schätzten Leonardo und Verrocchio mit Sicherheit Einzelheiten, die die meisten Betrachter gar
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