Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
Vom Netzwerk:
Möglichkeiten (4 4 /2). Um das zu illustrieren, bräuchten wir jetzt vier Achsen oder Dimensionen. Leider übersteigen vierdimensionale Räume unser einfaches Vorstellungsvermögen. Vielleicht stellen wir uns diesen Raum als einen Würfel vor, der um eine zusätzliche Dimension aufgebessert wurde. Jede Position auf diesem vierdimensionalen Hyperwürfel würde eine andere Kombination von vier Basen auf einem Strang darstellen, etwa AGCT oder AGGT. Jedes Genom entspräche hier einer von 128 möglichen Stellen im genetischen Raum.
    Was geschieht nun bei einem Genom aus 100 Basenpaaren? Wir bräuchten, um alle Möglichkeiten darzustellen, einen Hyperwürfel mit 100 Dimensionen. Wir können uns nicht vorstellen, wie so ein Objekt aussehen würde – selbst Einstein scheiterte schon bei dem Versuch, in vier Dimensionen zu denken, von 100 gar nicht zu reden. Aber der Begriff von den vielen Dimensionen soll auch nur veranschaulichen, dass wir sehr viele Merkmale unabhängig voneinandervariieren können. Mit der Zahl der Dimensionen steigt auch die Zahl der möglichen Kombinationen enorm an. Bei einem 100-dimensionalen Hyperwürfel mit jeweils vier Einheiten pro Achse gibt es 4 100 /2 verschiedene Genome, das entspricht etwa 10 60 oder einer Eins mit 60 Nullen. Eine astronomisch hohe Zahl, sehr viel höher als die Zahl sämtlicher Organismen, die je auf der Erde gelebt haben. 15 Durch simple hundertfache Aneinanderreihung der immer selben Einheit, wobei jede Einheit zwischen vier Möglichkeiten wählen kann, haben wir einen gigantischen Raum an Möglichkeiten geschaffen. Am Werk ist hier das Prinzip des kombinatorischen Reichtums, und die Variablen sind dabei molekulare Module, nämlich DNA-Basen.
    So wie die Möglichkeiten der DNA-Variabilität schon jede Vorstellungskraft übersteigen, besteht auch bei Proteinen ein entsprechend riesiges Variationspotenzial. Für ein Protein aus 100 Aminosäuren lässt sich die Reihe der Möglichkeiten ebenfalls mit einem 100-dimensionalen Hyperwürfel darstellen, nur dass in diesem Fall jede Achse 20 und nicht mehr vier mögliche Werte aufweist (nämlich die 20 verschiedenen Aminosäuren). Das ergibt 20 100 oder etwa 10 130 Möglichkeiten, mehr als die Anzahl der Atome in der sichtbaren Welt – das sind nämlich nur 10 78 . Wieder also schafft hier das Prinzip des kombinatorischen Reichtums einen unvorstellbaren Raum möglicher Proteine.
    Diese 100-dimensionalen Hyperräume sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Das menschliche Genom umfasst etwa 25000 Protein-codierende Gene, von denen jedes bis zu mehreren tausend Basen lang sein kann. Denken wir an die Möglichkeiten von 25000 Gen-Dimensionen, von denen jede einzelne selbst schon einen riesigen Hyperwürfel von Möglichkeiten aufweist, so haben wir am Schluss einen kolossalen Hyper-Hyperwürfel. Dasselbe gilt für die 25000 Proteine, für die diese Gene codieren – der Raum der möglichen Kombinationen von Aminosäuren und Proteinen übersteigt jede Vorstellungskraft.
    Als zum ersten Mal das menschliche Genom sequenziert wurde, erwarteten viele Wissenschaftler, dass es mehr Gene enthalten würde als das anderer Lebewesen. Schließlich sind wir ja scheinbar komplizierter als alles andere. Ersten Schätzungen zufolge sollte es beim Menschen an die 70000 Gene geben, deutlich mehr als bei anderen Organismen. Doch mit fortschreitendem Wissen über das Genomwurde diese Zahl ständig nach unten korrigiert. Jüngsten Schätzungen zufolge beträgt die Zahl Protein-codierender Gene im menschlichen Genom etwa 25000, wir tragen also etwa genauso viele Gene wie eine kleine krautige Pflanze namens Arabidopsis . Auf den ersten Blick wirkt das erstaunlich, da wir uns sehr viel komplizierter vorkommen als eine Grünpflanze. Doch selbst 25000 Gene enthalten sehr viel mehr Möglichkeiten, als wir uns nur entfernt vorstellen können. Das Leben ist interessant durch den riesigen kombinatorischen Reichtum der Organismen und ihrer Umwelt.
WOLKEN AUF REISEN
    Um eine Vorstellung davon zu bekommen, was eine solche Vielzahl an Möglichkeiten für die Evolution bedeutet, wollen wir nun den Prozess des evolutionären Wandels bildlich darstellen. Da wir in großen Hyperräumen nur schwer denken können, weichen wir auf die Vorstellung eines ausgedehnten dreidimensionalen Raums aus. Wir stellen uns die Gesamtheit der genetischen Möglichkeiten als einen riesigen Raum vor, wobei jeder Punkt in diesem Raum einer bestimmten Genomsequenz entspricht. Das Genom jedes

Weitere Kostenlose Bücher