Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
DNA dafür codiert. Eine Base allein kann für kein Protein codieren, dazu ist eine ganze Sequenz in einem Gen nötig. Zwischen Gen und Protein besteht aber noch eine andere Beziehung – beide halten sich gemeinsam in derselben Zelle auf. Die Außenmembran der Zelle hindert das Protein daran, sich zu weit vom Gen zu entfernen, und bewirkt damit, dass das Geschick des Gens und das des Proteins eng miteinander verknüpft bleiben. Wenn also das Protein zum Überleben der Zelle und zu ihrer Reproduktion beiträgt, verhilft es damit auch dem Gen, das für dieses Protein codiert hatte, zu größerem Reproduktionserfolg; ein Protein dagegen, das völlig ungehindert abwandern könnte, würde dem Gen keinen direkten Nutzen bringen. Wir haben es also mit zwei engen räumlichen Beziehungen zu tun – Basen innerhalb desselben Gens sind miteinander verbunden, und Proteine werden von der Zellmembran in der Nähe gehalten. Der enge räumliche Bezug knüpft die Geschicke der verschiedenen Elemente aneinander; was dem einen zum Reproduktionserfolg verhilft, nützt auch dem anderen. Natürlich heißt das auch, dass ein Element, das etwa den Reproduktionserfolg mindert, auch das andere mit nach unten zieht. Solche Veränderungen aber werden von der natürlichen Selektion nicht gefördert (sie werden nicht selektiert). Nur Varianten, die die Reproduktionsfähigkeit steigern, setzen sich langfristig in der Population durch. Wenn man im selben Boot sitzt, fördert das gegenseitige Hilfeleistung und gemeinsame Nutznießung.
Dasselbe gilt auch für die vielen anderen Gene unseres Einzellers. Alle diese Gene halten sich gemeinsam innerhalb derselben Zelle auf. Kooperation, sprich eine Zusammenarbeit ihrer Proteine, lohnt sich also für sie. Die Verbindung zwischen verschiedenen Genen ist allerdings nicht ganz so stark wie zwischen den Basen desselben Gens. Das liegt daran, dass DNA-Sequenzen, die im Genom weiter voneinander entfernt sind, mit größerer Wahrscheinlichkeit durchmischt und rekombiniert werden, wenn sie von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Es ist daher wahrscheinlich, dass eine Genvariante, die bei einem Individuum aufgetreten ist, vonihren ursprünglichen Nachbarn abbricht und mit anderen Genvarianten zusammengerät, die ursprünglich bei anderen Individuen aufgetreten sind. Jede Genvariante wird von der natürlichen Selektion im Kontext mit der Genkette bewertet, auf die sie in der Population trifft, und nicht in Zusammenhang mit ihren ursprünglichen Nachbarn. Kooperation ist noch immer vorrangig, weil jedes Gen mit den anderen Genen in einer Zelle zurechtkommen muss, um sein eigenes Überleben und seinen Reproduktionserfolg zu sichern, aber der Antrieb zur Kooperation ist weniger intensiv als bei benachbarten Basen.
Bei vielzelligen Organismen betrifft die Kooperation nicht mehr nur eine einzige Zelle, sondern alle Zellen im Individuum. Wenn eine befruchtete Eizelle heranwächst und sich teilt, wird die DNA getreu kopiert, und mit wenigen Ausnahmen enthalten schließlich alle Zellen im erwachsenen Organismus eine Kopie derselben DNA-Sequenz. Diese Anordnung fördert die Zusammenarbeit – wenn nämlich die Zellen ein und desselben Individuums kooperieren, begünstigt die natürliche Selektion die Ausbreitung ihrer gemeinsamen Gene in der Population. Wieder spielt räumliche Nähe eine wesentliche Rolle. Würden Zellen nach der Befruchtung in verschiedene Richtungen abwandern, so könnten sie einander nicht mehr wirksam helfen und entstandenen Nutzen auch nicht mehr teilen.
Wir neigen dazu, den Begriff des Individuums einfach vorauszusetzen. Es scheint offensichtlich, dass Organismen in räumlich organisierten Einheiten auftreten. Diese Individualität ist aber keineswegs von Natur aus gegeben, sondern wird von zwei Faktoren bedingt. Erstens: Nachbarn wirken tendenziell stärker aufeinander ein als voneinander entfernte Einheiten. Wir haben es hier mit einer Grundeigenschaft der Materie zu tun, wonach elektrische Kräfte mit dem Abstand abnehmen. Zweitens: Kooperation kann sich lohnen, wenn es um die gemeinsame Zukunft geht. Im Kontext der natürlichen Selektion wird Kooperation gefördert, wenn alle Einheiten im selben Boot sitzen, so dass gegenseitige Hilfe erleichtert wird und der reproduktive Nutzen allen dient. Das führt zur Zusammenarbeit zwischen Einheiten, die räumlich eng miteinander verbunden sind, egal ob DNA-Basen, Gene, Proteine oder Zellen. Räumliche Nähe fördert Zusammenarbeit
Weitere Kostenlose Bücher