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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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Schranken bemerkenswerte Ergebnisse erzielen, weil es derart viele kombinatorische Wege gibt, die sich beschreiten lassen.
DAS PRINZIP DER REKURRENZ
    Bisher haben wir sechs Prinzipien der Evolution besprochen. Im vorigen Kapitel haben wir die Wechselbeziehungen der vier Prinzipien Populationsvariabilität, Persistenz, Verstärkung und Wettbewerb beschrieben, die der natürlichen Selektion zu Grunde liegen. In diesem Kapitel sind zwei weitere Prinzipien dazugekommen. Einerseits das Prinzip der Kooperation: Nähe heißt gemeinsame Zukunft,weshalb die natürliche Selektion zur Bildung kooperierender räumlicher Einheiten führt, etwa von Genen, Proteinen, Zellen und Individuen. Diese kooperativen Einheiten sind sowohl ein Ergebnis als auch ein Parameter der natürlichen Selektion. Das andere Prinzip ist der kombinatorische Reichtum, der die Welt vielfältig macht und einen weitläufigen Raum genetischer Möglichkeiten eröffnet.
    Doch im Hintergrund lauert längst ein weiteres Problem. In den bisherigen Ausführungen habe ich bestimmte Kontexte als gegebene Voraussetzung dargestellt. Für das Beispiel der natürlichen Selektion habe ich eine Population von Apfelbäumen angenommen, die mit einem Merkmal ihrer Umwelt wechselwirkt, nämlich mit einer Population von Bären. Außerdem habe ich angenommen, dass Apfelbäume über ein bestimmtes Genom verfügen, an dem Varianten auftreten und zu verschieden hohem Zuckergehalt der Äpfel führen können. Unsere sechs Prinzipien der Evolution wirken immer innerhalb eines solchen Kontexts. Doch wie entsteht überhaupt dieser Kontext?
    Das liegt an der Art und Weise, wie die natürliche Selektion mit sich selbst rückgekoppelt ist. Man könnte meinen, sobald ein Organismus sich besser an seine Umwelt angepasst hat, würde die natürliche Selektion in ihrer Intensität nachlassen. Das tut sie aber nicht. Warum nicht? Stellen wir uns vor, wir nehmen an einem Autorennen teil und erfinden eine technische Finesse, die unser Auto schneller macht als alle anderen. Das beschert uns anfangs einen Vorteil und den Sieg. Wenn aber alle diese technische Verbesserung in Erfahrung bringen und sie in alle Autos einbauen, dann ist unser Vorteil dahin, weil jetzt alle Autos schneller fahren. Was vorher ein Vorteil war, ist nun einfach Standard bei allen Autos, und in diesem neuen Kontext können jetzt weitere Verbesserungen angestellt werden. Die allgemeine Anwendung der Finesse hat also nicht etwa den Wettbewerb abflauen lassen, sondern nur die Durchschnittsleistung angehoben, so dass die Erfinder jetzt noch raffiniertere Verbesserungen ersinnen müssen, damit ihre Autos wieder das Rennen gewinnen.
    Analog verfügen, wenn eine Anpassung durch natürliche Selektion gefestigt ist, in der Population alle Individuen darüber. Der Wettbewerb ist jetzt umso härter, weil alle Individuen der Population eine bessere Reproduktionsfähigkeit haben und besser um die begrenzten Ressourcen kämpfen können. Die natürliche Selektion lässt nicht nach, die Verbreitung der Anpassungen zu fördern; vielmehr treibt sie sich selbst immer weiter an, denn jede Anpassung verschiebt den Kontext und verschärft den Wettbewerb noch. Unsere Populationswolke treibt sich selbst durch den genetischen Raum, jede Anpassung stellt die Bedingungen für die nächste Anpassung auf. In einem Autorennen geht es nicht darum, eine bestimmte Geschwindigkeit zu erreichen, sondern darum, schneller zu sein als die anderen; auch die natürliche Selektion will nicht ein bestimmtes Anpassungsniveau erreichen, sondern wirkt immer relativ und bevorzugt stets die Genvarianten, die sich im Vergleich zu anderen Mitgliedern der Population besser fortpflanzen. Weil der Wettbewerb nie ruht, kennt auch die natürliche Selektion keine Auszeit; vielmehr wird sie durch die bereits erbrachten Anpassungen immer weiter intensiviert.
    Diese pausenlose Wiederholung des immer gleichen Vorgangs, der immer weiter angetrieben wird, bezeichne ich als Prinzip der Rekurrenz. Ohne Rekurrenz würden die Organismen nur für den simplen Versuch stehen, sich auf eine einzige Umweltvariable einzustellen, sie wären das Ergebnis eines einzigen Schrittes in der natürlichen Selektion. Stattdessen haben wir es aber mit einem beständigen Zyklus von Anpassungen zu tun, die selbst auf Anpassungen aufbauen; Antrieb dafür ist die immer weitere Verschiebung der Standards, die der Zyklus selbst setzt. Das bedeutet, dass Populationswolken nur selten stillstehen, sondern sich immer

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