Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Egal, über welche Sinne wir verfügen würden: Die Erde würde uns dumpf und öde erscheinen, weil es nichts gäbe, womit wir uns beschäftigen könnten. Die Konsequenzen würden sogar noch sehr viel weiter reichen: Wir würden dann selbst gar nicht existieren, um eine solangweilige Welt zu betrachten. Die Komplexität der Organismen nämlich, uns eingeschlossen, steht in einem Verhältnis zur Komplexität der Welt, in der sie leben. Die natürliche Selektion kann nur zu Anpassungen führen, wenn es in der Umgebung Merkmale gibt, an die man sich anpassen kann. Unsere Fähigkeit, zu betrachten, was uns umgibt, hat sich nur herausgebildet, weil es Dinge gibt, die der Betrachtung wert sind. Wäre die Welt wirklich dumpf und öde, dann wären wir es auch.
Natürlich ist unsere Welt nicht so eintönig. Die Erde enthält eine Vielzahl verschiedener Elemente, die sich nach den Gesetzen der Physik und der Chemie mit anderen verbinden können. Zwar gibt es nur etwa 100 verschiedene Atome, doch die Zahl der möglichen Kombinationen ist sehr viel höher. Wasserstoff und Sauerstoff können sich zu Wassermolekülen verbinden. Natrium und Chlor können sich zu Kochsalz verbinden. Außerdem können sich diese Moleküle in unterschiedlichen Kombinationen zusammenschließen. Wassermoleküle können sich zu Eis, Schnee, Flüssen, Dampf oder Wolken zusammenfügen. Und Salz kann sich mit Wassermolekülen zu einer Salzlösung zusammentun. Aus wenigen Komponenten lässt sich einfach durch unterschiedliche Kombination eine vielfältige Reihe von Anordnungen erstellen. Das nenne ich das Prinzip des kombinatorischen Reichtums. Eben diesem Prinzip verdankt die Erde ihre interessante Vielfalt.
Nun stellen sich einem Organismus in seiner Umwelt zahlreiche Herausforderungen, mit denen er fertig werden muss. Organismen begegnen diesen Herausforderungen mit genau der richtigen inneren molekularen Anordnung. Und auch die ergibt sich aus dem Prinzip des kombinatorischen Reichtums. Um das zu erklären, stellen wir uns eine recht unrealistische Situation vor, nämlich dass wir bei einem Organismus die Länge der DNA beliebig verändern könnten, ohne dass seine Reproduktionsfähigkeit dadurch eingeschränkt würde. Nehmen wir an, wir stutzen die DNA auf die kürzeste mögliche Länge zurück, nämlich auf ein Basenpaar. Dann gäbe es nur zwei mögliche Organismen: ein AT-Paar oder ein GC-Paar. Egal, wie interessant die Welt dann wäre – solche Organismen müssten immer aus zwei möglichen DNA-Konfigurationen auswählen.
Könnte ein Genom zwei Basenpaare lang sein, so gäbe es schon mehr Möglichkeiten. Es könnte dann zum Beispiel Organismen mitAA, AG oder AC auf einem der DNA-Stränge geben. Sämtliche Möglichkeiten lassen sich in einem Diagramm darstellen, in dem die Base an erster Stelle an der horizontalen Achse verändert wird und die Base der zweiten Stelle an der vertikalen Achse (Abb. 6). Wir sehen, dass das Ergebnis ein Quadrat mit 16 möglichen Organismen ist (16 = 4 × 4 oder 4 2 ). Da aber jede dieser Basensequenzen nur einen der beiden DNA-Stränge darstellt, ergeben einige dieselbe Genomsequenz (AA zum Beispiel ist vom anderen Strang aus gesehen dasselbe wie TT); wir müssen die Gesamtzahl der Kombinationen daher durch zwei dividieren und kommen auf insgesamt acht (4 2 /2 = 8). Dem gegenüber standen die zwei Möglichkeiten für Genome mit nur einem Basenpaar. Indem wir einfach nur dieselbe Einheit als zweite Base hinzugefügt haben, haben wir die Möglichkeiten vervierfacht.
(6) Mögliche Sequenzen eines DNA-Moleküls aus zwei Basenpaaren.
Gehen wir nun zu DNA-Strängen aus drei Basenpaaren, deren einer Strang also AGC oder TAG lauten könnte, so verfügen wir bereits über 32 Möglichkeiten (4 × 4 × 4 geteilt durch 2 oder 4 3 /2). Indem wir also eine weitere Base dazugegeben haben, multiplizieren wir erneut mit vier. Die verschiedenen Möglichkeiten lassen sich dreidimensional in einem Würfel darstellen, bei dem jede Achse die Base an erster, zweiter beziehungsweise dritter Stelle benennt(Abb. 7). Wir bekommen jetzt allmählich eine Vorstellung vom Prinzip des kombinatorischen Reichtums: Je mehr Basen wir anhängen, desto schneller steigt die Zahl der möglichen Kombinationen an.
(7) Mögliche Sequenzen eines DNA-Moleküls aus drei Basenpaaren. Dargestellt sind nur drei Außenflächen des Würfels (im Inneren gibt es weitere Möglichkeiten).
Bei Genomen aus vier Basenpaaren hätten wir schon 128
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