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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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Möglichkeit, »Apfel« zu sagen, eine andere, genauso gute Möglichkeit ersetzen kann. Über je mehr Dimensionen unser System verfügt, desto wahrscheinlicher ist es, dass es zu so einer Kosten-Nutzen-Rechnung kommt, weil mehr mögliche Optionen auszuloten sind. 18 Und angesichts der vielen Dimensionen des genetischen Raums und der Umwelt können wir erwarten, dass es viele solche Wege gibt, auf denen unsere Populationswolken sich fortbewegen können. Die Kosten-Nutzen-Rechnung ist verbreitet, weil der kombinatorische Reichtum sicherstellt, dass das Leben die Wahl zwischen vielen gleichwertigen Richtungen hat.
    Wenn also eine Population durch eine physische Barriere wie eine Gebirgskette räumlich aufgespalten wird, werden sich die getrennten Populationen sehr wahrscheinlich im genetischen Raum allmählich voneinander entfernen, so wie getrennte Sprachen mit der Zeit divergieren. Bei dieser Auseinanderbewegung verlieren die Populationen vielleicht irgendwann ihre sexuelle Kompatibilität, so wie die Kommunikation zwischen den Sprechern sich auseinander entwickelnder Sprachen zunehmend schwierig wird. Die sexuelle Inkompatibilität wird von der natürlichen Selektion nicht befördert, ist aber eine indirekte Folge der Reproduktionsbarriere zwischen unseren Wolken. Anders gesagt: Wie die Kommunikation muss die sexuelle Kompatibilität zwischen den Individuen einer Population durch regelmäßigen Austausch aktiv unterhalten werden; endet dieser regelmäßige Kontakt, können sich mit der Zeit Inkompatibilitäten anhäufen. Mein Beispiel dafür, wie sich Wolken aufspalten können (wie sich also eine Art in zwei aufteilen kann), folgt vielleicht auf geografische Isolierung, doch das darf nicht als der einzig mögliche Mechanismus gelten: Denkbar sind zahlreiche andere Szenarien mit unterschiedlichem Ausmaß und verschiedenen Formen der Trennung.
ART UND ÖKOSYSTEM
    Wir haben jetzt verstanden, wie eine Art infolge einer Trennung durch eine physische Barriere in zwei geteilt werden kann. Wie aber hat die Evolution zur Herausbildung der Artenvielfalt am selben Ort geführt? Schließlich leben viele Wolken im genetischen Raum auch physisch eng zusammen, so dass sie füreinander einen gemeinsamen Kontext bilden. Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir untersuchen, was passiert, wenn nach einer Phase der Trennung der Kontakt zwischen Populationen wiederhergestellt wird.
    Stellen wir uns vor, ein paar Individuen aus einer unserer Populationen überqueren zufällig die Barriere und gelangen in ein Gebiet, das von der anderen Population bewohnt wird. Können sich die Neuankömmlinge noch immer mit der angetroffenen Population paaren,so werden sie im Lauf einiger Generationen vielleicht schrittweise voll in diese Population integriert. Die genetische Wolke der Neuankömmlinge wird dann von der der Wirtspopulation absorbiert.
    Eine andere Möglichkeit ist, dass die Populationen sich inzwischen schon so weit auseinander entwickelt haben, dass die Paarung nicht mehr möglich ist. In diesem Fall dürften die Neuankömmlinge eine getrennte Einheit bilden, die neben der größeren Population koexistiert. Verhält sich die neue Einheit sehr ähnlich wie ihre Nachbarn und durchmischt sich mit ihnen, so wird sich daraus wahrscheinlich ein Wettbewerb um die begrenzten Ressourcen entwickeln. Am Ende kann das dazu führen, dass eine der Populationen ausstirbt, entweder weil sie im Wettbewerb unterliegt, oder aber per Zufall (wenn beide gleich starke Konkurrenten sind). Verhalten sich aber die Neuankömmlinge ausreichend anders als ihre Nachbarn, so können sie wahrscheinlich ihre Umwelt unterschiedlich nutzen, halten sich also in einer etwas anderen Nische auf. Solche Nischen sind wahrscheinlich ausreichend vorhanden, sind doch die Umwelt und die Organismen darin wegen des kombinatorischen Reichtums äußerst vielfältig. Indem die Populationen also leicht unterschiedliche Nischen besetzen, können sie dauerhafter nebeneinander her existieren, weil jede sich jetzt unterschiedlicher Ressourcen bedient. Der Vorteil, direkten Wettbewerb zu vermeiden, lässt erwarten, dass die natürliche Selektion zwischen beiden Populationen weitere Spezialisierung fördert, so dass sie sich mit der Zeit noch weiter voneinander entfernen. Anders gesagt: Die beiden genetischen Wolken driften nun sogar noch weiter auseinander, so als würden sie einander abstoßen. In der Folge stehen die beiden Populationswolken in immer größerem Abstand voneinander

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