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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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überschreitet. Und damit bleiben die Angehörigen derselben Population im genetischen Raum einander eng verbunden. Die regelmäßige Paarung stiftet den Zusammenhalt, als genetischer Kleber verbindet er die Population untereinander und definiert sie als Einheit oder Art.
    Daraus ergibt sich aber wiederum ein Problem, das auch Darwin schlaflose Nächte bereitete. Wenn die Geschlechtlichkeit die Populationen zusammenhält, warum gibt es dann auf der Erde derart viele verschiedene Populationen, Millionen unterschiedlicher Arten? Stellen wir uns vor, dass alle Arten von einem gemeinsamen Urahn abstammen, dann muss sich diese Ur-Art irgendwann aufgespalten haben, um zwei oder mehr Arten zu bilden. Es ist anzunehmen, dass aufeinander folgende Runden dieser Aufspaltung zu der heutigen Vielzahl von Arten geführt haben. Wie aber wird der sexuelle Kleber, der die Arten zusammenhält, irgendwann aufgebrochen, so dass aus einer Art zwei werden?
    Es ist schwer vorstellbar, wie die natürliche Selektion allein diesenVorgang der Artenbildung hätte bewirken sollen. Die natürliche Selektion nämlich betreibt vor allem die Förderung der Fortpflanzungsfähigkeit, während ein wesentliches Abgrenzungsmerkmal zwischen verschiedenen Arten darin besteht, dass sie sich nicht gemeinsam fortpflanzen können. Im Fall einer erfolgreichen Paarung bringen sie in der Regel fortpflanzungsunfähigen Nachwuchs hervor; so entsteht etwa bei der Paarung eines Esels mit einem Pferd ein steriles Maultier. Nun scheint es kaum begreiflich, wie die natürliche Selektion die Evolution der Unfruchtbarkeit hätte befördern sollen, also das Gegenteil des Reproduktionserfolgs. Nach der Feststellung, dass die Geschlechtlichkeit unsere Populationswolken zusammenhält, scheint es schwer begreiflich, wie die Wolken sich je gespalten haben, wie also eine Art sich in zwei Arten aufteilte.
    Auf dieselbe Problematik stoßen wir bei der Sprache. Eines der bizarrsten Merkmale der Menschheit ist, dass sie so viele verschiedene Sprachen spricht. Im Sinne der Kommunikation wäre es folgerichtig, wenn alle Menschen dieselbe Sprache sprächen. Die Bibel musste sich in ausschweifenden Erklärungen ergehen, um plausibel zu machen, warum der Schöpfer wohl die linguistische Vielfalt eingeführt hat. Dem 1. Buch Mose zufolge sprachen alle Menschen ursprünglich dieselbe Sprache, und zur Aufsplitterung kam es erst später, als Gott dem Volk von Babel eine Strafe auferlegte. Dieses Volk wollte seine Leistungen mit dem Bau eines riesigen Turmes verherrlichen (Abb. 10). Eine solche Anmaßung erregte Gottes Missfallen, und er strafte die Einwohner Babels, indem er sie in verschiedenen Sprachen sprechen ließ, so dass sie nicht mehr weiter zusammenarbeiten konnten. Daraufhin zerstreuten sie sich und begründeten die vielen Sprachen, die heute von den verschiedenen Völkern gesprochen werden. Eine seltsame Geschichte, die ersonnen wurde, um eine seltsame Entscheidung zu begründen – wer die Menschheit ganz neu erschafft, dürfte aller Logik nach eher allen dieselbe Sprache mitgeben als lauter verschiedene.
    (10)  Der Turmbau zu Babel . Pieter Bruegel der Ältere, 1563.
    Für das Aufkommen der sprachlichen Vielfalt können wir auch eine profanere Erklärung bieten. Nehmen wir das Beispiel der europäischen Sprachen wie Englisch, Französisch oder Italienisch. Sie unterscheiden sich so stark, dass die Sprecher einer Sprache die einer anderen nicht verstehen können. Dabei haben all diese Sprachen gemeinsame Wurzeln – sie lassen sich alle zu einer gemeinsamen Ursprache zurückverfolgen, die wohl von den ersten Gründerstämmen Europas gesprochen wurde. 17 Stellt man sich alle erdenklichen Sprachen als riesigen Raum der Möglichkeiten vor, so hätte dann eine ursprüngliche Wolke im linguistischen Raum schrittweise viele unterschiedliche Wolken hervorgebracht, die heute die verschiedenen Sprachen darstellen. Bei diesem Vorgang blieb jede linguistische Wolke für sich kohärent – die einzelnen Sprecher derselben Sprache konnten sich immer miteinander verständigen –, aber mit der Zeit bewegten sich die Wolken so weit auseinander, dass Gespräche zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Wolken zunehmend schwierig wurden.
    Wahrscheinlich haben bei der Aufspaltung der Sprachen geografische Barrieren eine wichtige Rolle gespielt. Solange Menschen regelmäßig miteinander sprechen, besteht eine starke Tendenz dazu, dass sie dieselbe Sprache sprechen. Werden Populationen aber durch

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