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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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im genetischen Raum, obwohl sie dieselbe Region des physischen Raumes besetzen.
    Schließlich haben wir ein kleines Ökosystem mit zwei Arten, von denen jede eine unterschiedliche Nische besetzt. Dabei ist zu unterstreichen, dass diese Nischen keine absoluten Merkmale der Umwelt sind; sie ergeben sich erst durch das Wechselspiel zwischen unseren beiden Populationen. Hätte man es nur mit einer einzigen Population zu tun, so wäre der Begriff der Nische ganz unnötig. Erst bei der Betrachtung von Populationen, die aufeinander einwirken und sich spezialisieren, kristallisieren sich getrennte Nischen heraus. Der Begriff der Nische ist also relativ, er bezeichnet ein Merkmal, das imZusammenhang mit den Arten zu sehen und unabhängig davon nicht vorstellbar ist.
    Da sich die Populationen beständig aufspalten und erneut in Kontakt treten, gelangen wir schließlich zu vielfältigen Arten, von denen jede eine bestimmte Nische in einem Ökosystem besetzt. Wir verfügen jetzt über viele parallele Organismen, von denen jeder einen anderen Aspekt der gemeinsamen Umgebung erfasst. Natürlich gelangt dieser Vorgang der Wolkenspaltung irgendwann an seine Grenzen, weil Ökosysteme begrenzte Regionen belegen und nur einer begrenzten Zahl von Arten die nötigen Ressourcen bieten können. So werden sich zwar neue Arten herausbilden, andere aber aussterben. Das Ökosystem unserer Welt spiegelt dieses Gleichgewicht zwischen der Entstehung und dem Aussterben von Arten. 19 Aufgrund der menschlichen Aktivität ist heute die Rate der Artenvernichtung viel höher als die der Artenbildung, die Artenvielfalt nimmt insgesamt also schnell ab.
    Angesichts der großen Vielfalt von Arten in ausgereiften Ökosystemen sind viele komplexe Szenarien denkbar, wie Populationswolken einander beeinflussen, sich bewegen und spalten. Durch Wechselwirkungen zwischen Arten kann es zu Güterabwägungen kommen. Der Zucker, der einen Apfel für einen Bären süßer macht, macht ihn vielleicht auch attraktiver für Pilze und Bakterien. Einem Gewinn bei der Verbreitung der Samen steht vielleicht ein höheres Krankheitsrisiko gegenüber. Die natürliche Selektion wird an der Apfelbaumpopulation ansetzen, um die Resistenz gegen Krankheiten zu steigern, aber genauso wird sie an den Populationen von Pilzen und Bakterien angreifen, um ihre Virulenz zu steigern. Populationen entwickeln sich nicht isoliert voneinander; sie entwickeln sich beständig relativ zueinander. Jedes Ökosystem ist Zeuge einer dauernden Neuausrichtung, einer ständigen Verschiebung von Arten und Nischen. Jede Populationswolke ist in Bewegung, und damit beeinflusst sie andere Wolken, verändert deren Kontext und treibt sie damit in eine andere Richtung. 20 Der genetische Raum wimmelt von Populationswolken, die sich selbst vorantreiben, während sie zugleich andere auf neue Wege schicken. Das Prinzip der Rekurrenz wirkt hier auf der Ebene vieler einander beeinflussender Arten.
E INE FORMEL FÜR DIE EVOLUTION
    Im letzten Kapitel haben wir das Herzstück der natürlichen Selektion in der doppelten Rückkopplungsschleife zwischen Verstärkung und Wettbewerb ausgemacht. Die beiden wechselseitig abhängigen Schleifen werden ständig in Gang gehalten von einem Gleichgewicht zwischen Populationsvariabilität und Persistenz, das die Überlebens- und Fortpflanzungsfähigkeit steigert.
    Dieses Verständnis der Evolution aber setzt Verschiedenes voraus. Es geht davon aus, dass wir über eine Population aus integrierten räumlichen Gebilden verfügen, den so genannten Individuen. Wir haben gesehen, dass Individualität von Kooperation abhängt, beides ist sowohl Ergebnis als auch Parameter der natürlichen Selektion. Durch die vielfältige Kombination mehrerer Komponenten in der Kooperation eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten. Dieses Prinzip des kombinatorischen Reichtums macht die Welt und ihre Organismen so reich an Möglichkeiten.
    Das Zusammenspiel dieser sechs Prinzipien – Populationsvariabilität, Persistenz, Verstärkung, Wettbewerb, Kooperation und kombinatorischer Reichtum – bildet die Grundlage der Evolution. Doch ihren Antrieb zur Herausbildung einer derart komplexen und vielfältigen lebenden Welt erhält sie aus unserem siebten Prinzip, der Rekurrenz. Jede Anpassung verschiebt die Ziellinie und steckt damit den Rahmen für weitere Anpassungen ab. Mit der Ausbreitung der Anpassungen nimmt der Wettbewerb nicht ab, sondern dieser wird durch das Anheben der Messlatte verstärkt, so dass die

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