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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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Min-Proteinen.
    Beginnen wir mit MinD. Beobachten wir genau, wo sich das Protein MinD aufhält, so stellen wir fest, dass es nicht nur frei durch die Zelle diffundiert, sondern auch an der Zellmembran gebunden wird.Hat ein MinD-Protein mit der Membran gebunden, so kann es dort eine ganze Zeit lang verbleiben. Die Bindung fördert auch die Bindung anderer MinD-Moleküle in der Nähe. Anders gesagt, MinD verstärkt die Bindung von seinesgleichen. Man könnte erwarten, dass am Ende alle MinD-Moleküle an der Membran gebunden sind. Das verhindert aber die konkurrierende Wirkung von MinE, dem anderen Protein in unserem Team. MinE bindet an MinD-Molekülen, die an der Membran hängen; wenn aber MinE sich anbindet, bewirkt das, dass MinD sich von der Membran löst und ins Zellinnere zurückfällt. Das heißt, MinD wird zum Opfer seines eigenen Erfolgs, denn je mehr davon an der Membran gebunden ist, desto mehr MinE wird dorthin gelockt und desto mehr MinD fällt wieder ab. Das Verhältnis lässt sich in unserer inzwischen vertrauten Darstellung der zwei Rückkopplungsschleifen zusammenfassen (Abb. 14). Die Regelschleife mit positiver Rückkopplung beschreibt, dass MinD, das an der Membran gebunden ist, andere MinD-Moleküle zur Bindung motiviert. Und die Schleife mit negativer Rückkopplung beschreibt, dass MinD MinE an die Membran lockt, wodurch aber MinD abfällt. Und damit verfügen wir über alle Voraussetzungen einer Musterbildung. Computersimulationen zeigen, dass unter den richtigen Bedingungen von Molekularaffinitäten und Diffusionsraten dieses System zu dem beobachteten Oszillationsmuster der Min-Proteine führen kann, bei dem die hohe Konzentration innerhalb weniger Minuten beständig von einem Zellpol zum anderen wandert.
    (14) Wechselspiel von Verstärkung (positive Rückopplung) und Wettbewerb (negative Rückkopplung) bei der Teilung einer E.-coli -Zelle.
    Dieses Beispiel verdeutlicht, wie unsere vertraute doppelte Rückkopplungsschleife in den Grenzen einer einzigen Zelle zu einem Muster führen kann, weil sie Unterscheidungen zwischen einer Region und einer anderen trifft. Für vielzellige Organismen aber werden auch noch auf einem übergeordneten Niveau Muster gebildet, nämlich zwischen den unterschiedlichen Zellen ein und desselben Individuums. Aus der Teilung und Entwicklung einer befruchteten Eizelle gehen verschiedene Zelltypen hervor, für eine Pflanze etwa Blatt- und Wurzelzellen, für ein Tier Muskel- oder Nervenzellen (Neurone). Und innerhalb jeder Kategorie von Zellen gibt es mehrere Untertypen, auf einem Blatt etwa die Zellen, die Härchen oder Poren bilden (Schließzellen), oder die vielen verschiedenen Typen von Neuronen im Nervensystem (Abb. 15). Viele dieser Zellen sind polarisiert, die beiden Enden unterscheiden sich also voneinander – die Spitze einer Haarzelle unterscheidet sich von ihrer runden Basis, und jedes Neuron besitzt ein Ende, das Inputs erhält (Dendriten), und eines, das Outputs versendet (Axone). Wie dieses interne Muster ist auch die Anordnung der Zelltypen im Gewebe und im ganzen Körper hochgradig organisiert; die Zellen werden dafürin einem besonderen räumlichen Verhältnis zueinander verteilt. Diesen Musterbildungsprozess – die Entwicklung einer Eizelle zu einer hochgradig definierten und komplexen Anordnung von Zelltypen – wollte Turing erklären. Um zu verstehen, wie das funktioniert, müssen wir zunächst spezifischere Abläufe betrachten, bei denen ganze Gene an- und ausgeschaltet werden müssen. Bevor wir also fortfahren, muss ich zunächst weitere Grundlagen über die Funktionsweise von Genen darstellen.
    (15) Beispiele für Zelltypen bei Tieren (oben) und Pflanzen (unten).
D AS AN- UND AUSSCHALTEN VON GENEN
    Wir erinnern uns: Ein Gen ist ein Abschnitt der DNA. Häufig lässt sich der Abschnitt grob in zwei Bereiche unterteilen: den Regulationsbereich und den codierenden Bereich (Abb. 16). Betrachten wir zunächst den codierenden Bereich. Diese Region enthält die Informationen, die benötigt werden, um die Sequenz der Aminosäuren für ein Protein zu bestimmen. Allerdings wird diese Information nicht direkt von der DNA abgelesen. Sie wird zunächst auf einen anderen Typ Molekül kopiert oder transkribiert, nämlich auf die RNA. Die RNA weist eine ähnliche Struktur auf wie die DNA, besteht aber aus einem einzelnen und nicht aus einem Doppelstrang. Stellen wir uns die DNA im Zellkern als einen Stapel Bücher vor, in dem jedes Gen eine Seite

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