Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
angeschaltet, wenn die Konzentration des Moleküls einen bestimmten Schwellenwert überschreitet. Damit erhalten wir zwei unterschiedliche Regionen: links mit angeschaltetem Gen (die Konzentration unseres Moleküls liegt über dem Schwellenwert) und rechts mit abgeschaltetem Gen (Abb. 20, unten). Wir haben nun keinen Gradienten mehr, sondern ein stufenförmiges Muster für die Genaktivität, nämlich eine hohe Aktivität links und eine niedrige Aktivität rechts. Von einem relativ weichen Anfangsmuster sind wir zu einem schärfer definierten Muster gelangt. Scheinbar brauchen wir hier die Prinzipien von Verstärkung und Wettbewerb gar nicht zu bemühen; um das Stufenmuster einzurichten, brauchen wir nur Diffusion, die einen Gradienten erzeugt, und einen Schwellenwert für die Genaktivität. Wie aber lassen sich solche Schwellenwerte überhaupt messen? Für uns ist es ganz einfach, eine Linie zu ziehen und zu definieren: Was diese Linie übersteigt, verhält sich anders als das, was darunter liegt; wie aber bewerkstelligen Zellen das? Betrachten wir dafür eines der am besten untersuchten Beispiele von Gradienten.
(20) Gradient und Schwellenwert als Auslöser eines Stufenmusters in der Genaktivität.
Im Folgenden geht es um die Wechselwirkung von zwei Genen, nämlich Bicoid und Hunchback . Der Einfachheit halber stelle ich die Proteine, für die diese Gene codieren, mit zwei Obstsorten dar – Äpfel für Bicoid und Birnen für Hunchback. Beginnen wir mit den Äpfeln. Im Lauf ihres Lebens produziert eine weibliche Taufliege zahlreiche Eizellen, die jeweils etwa einen halben Millimeter lang sind. Nach der Befruchtung durchläuft der Zellkern der Eizelle mehrere Runden der Zellteilung, und die Eizelle verfügt jetzt über viele Zellkerne. Es ist recht ungewöhnlich, dass sich ein Zellkern innerhalb ein und derselben Zelle teilt, aber das ist auch nur vorübergehend – später werden die Zellkerne in getrennte Zellen verschoben. Bei der Teilung der Zellkerne entsteht im Embryo eine graduelle Verteilung des Apfelproteins (Bicoid), wobei die Konzentration am Kopfendehoch und am Schwanzende niedrig ist (Abb. 21; wie es zu diesem Gradienten kommt, lassen wir im Moment außer Acht). Dieses Apfelprotein schaltet nun in einigen Zellkernen unser zweites Gen, Hunchback , an, was zur Produktion von Birnen führt. Das heißt, die Äpfel binden an den Regulationsbereich des Hunchback -Gens und schalten es an. Dazu kommt es besonders in den Zellkernen am Kopfende, weil dort die meisten Äpfel vorhanden sind – und demnach bilden sich an diesem Ende auch viele Birnen (Abb. 22). Wohlbemerkt: Mit der Anschaltung der Birnenproduktion hat der Gradient der Äpfel ein eher stufenförmiges Muster produziert. Die Kurve der Birnenkonzentration beginnt am Kopfende flach und fällt dann steiler ab als der Gradient der Äpfel (Abb. 22, unten). Hier führt also während der biologischen Entwicklung eine graduelle Verteilung eines Proteins zu schärferen Unterscheidungen bei einem anderen Protein.
(21) Konzentrationsgradient des Proteins Bicoid (Äpfel) im Taufliegenembryo vom Kopf zum Schwanz.
(22) Stufenmuster in der Konzentration des Proteins Hunchback (Birnen) im Taufliegenembryo vom Kopf zum Schwanz.
Um zu erklären, wie es zu diesem steilen Abfall des Gradientenkommt, müssen wir genauer betrachten, was im Regulationsbereich des Hunchback -Gens geschieht. Dieser Bereich verfügt über mehrere Stellen, an denen die Äpfel (das Produkt von Bicoid ) binden können (Abb. 23). Entscheidend ist, wie diese Äpfel miteinander interagieren. Bindet ein Apfel an eine Stelle, so verstärkt oder fördert er die Bindung eines weiteren Apfels an eine benachbarte Stelle – Apfelproteine fördern gegenseitig ihre Bindung. 30 Nun wollen wir sehen, wie das zum Birnenmuster führt; dafür beginnen wir am Schwanzende des Embryos. Hier gibt es nur sehr wenige Äpfel, also sind nur an wenigen Stellen im Regulationsbereich von Hunchback Äpfel gebunden. Das Gen ist demnach weitgehend inaktiv und produziert sehr wenige Birnen. Je mehr wir uns aber dem Kopfende nähern, umso mehr steigt die Apfelkonzentration an, bis es an einer bestimmten Stelle genügend Äpfel gibt, dass mehrere gleichzeitig binden können. Da sie gegenseitig ihre Bindung fördern, führt diesegegenseitige Hilfe zwischen den Äpfeln zu einem raschen Anstieg der Birnenproduktion. Das ist einer der Hauptgründe für den steilen Anstieg der Birnenkonzentration in der Mitte des
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