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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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zeigt, was bei einem Mutanten passiert, der am so genannten Delta -Gen einen Defekt aufweist. Hier entsteht nicht nur ein Neuroblast, sondern alle hellgrauen Zellen werden zu Neuroblasten. Wir müssen uns vorstellen, dass die hellgrauen Zellen eigentlich untereinander auskämpfen, welche von ihnen zum Neuroblast wird.Ohne das Delta -Gen gibt es keinen Kampf, und damit werden alle hellgrauen Zellen zu Neuroblasten.
    Um diesen Vorgang zu verstehen, betrachten wir den linken Teil von Abbildung 19, auf dem zwei hellgraue Zellen miteinander wechselwirken. Wir sehen Bogen mit Plus- und Minuszeichen. Der Gesamteffekt dieser Wechselwirkungen erweist sich als ähnlich dem unserer vertrauten positiv und negativ rückgekoppelten Regelschleife. In jeder Zelle wird das Delta -Gen (im Zellkern) angeschaltet und produziert das Delta-Protein (es ist üblich, die Namen von Proteinen nicht kursiv zu setzen, um sie von den Genen zu unterscheiden, die für sie codieren). Die Moleküle des Delta-Proteins, dargestellt in Form von Lutschern, wandern an die Zellmembran, wo sie binden und den Kopf durch die Zellmembran nach außen recken. Wenn sie über die Membran weiterwandern, kollidieren sie irgendwann mit einem anderen Protein, einem Rezeptor auf der Nachbarzelle. Der Rezeptorpasst in seiner Form zu der des Delta-Proteins. Wenn Delta an den Rezeptor bindet, löst es in der rezeptortragenden Zelle eine Ereigniskette aus, bei der unter anderem Moleküle zum Zellkern diffundieren und das Delta -Gen ausschalten (dargestellt mit einem Minus).
    (19) Signalübertragung zwischen Zellen in Bezug auf das Protein Delta und seinen Rezeptor.
    Die Produktion von Delta in einer Zelle beeinträchtigt also die Nachbarzelle und versucht, deren Delta -Gen auszuschalten. Bei einem Gleichgewicht des Proteins schalten beide Zellen das Delta -Gen der anderen Zelle im selben Maße aus. Verfügt aber eine Zelle über etwas mehr Delta, so verstärkt sich dieser Delta-Gehalt weiter (Verstärkung), weil er die Konkurrenz der Nachbarzelle effektiver ausschalten kann. Am Ende dominiert eine Zelle über die andere, enthält sehr viel Delta und die andere sehr wenig (Abb. 19, rechts). Ich habe in der Abbildung das Zusammenspiel von nur zwei Zellen dargestellt; bei einer kleinen Gruppe von Zellen gelten aber dieselben Regeln – am Ende enthält eine der Zellen sehr viel mehr Delta-Protein als die anderen. Die Prinzipien sind dieselben wie die bei Turing; nur haben wir es hier statt mit einer einzelnen chemischen Reaktion in einer Lösung mit Ereignisketten zu tun, bei denen Zellen miteinander Signale austauschen und Gene an- oder abgeschaltet werden.
    Aus der Geschichte um Delta lässt sich noch ein anderes Merkmal ableiten. Wir sehen, dass die weiße Zelle ganz rechts in Abbildung 19 eine Asymmetrie oder Polarität aufweist – das Delta-Signal erreicht sie nur von links her. Solche Musterbildungsereignisse können also nicht nur zur Unterscheidung von Zellen führen, sondern können auch die interne Organisation der Zellen steuern. Wie wir gesehen haben, sind viele Zelltypen, etwa die Haarzellen auf einem Blatt oder die Borstenzelle eines Insektenflügels, stark polarisiert, weisen alsovon einem Zellpol zum anderen erhebliche Unterschiede auf (Abb. 15). Zudem sind diese Polaritäten häufig im Verhältnis zu anderen Zellen organisiert – eine Haarzelle zeigt nach außen, von den inneren Blattzellen weg; und die Borsten der Fliege weisen über den ganzen Tierkörper alle in eine definierte Richtung. Solche Polaritäten sind auch auf einen Signalaustausch zwischen Zellen zurückzuführen, zu dem ähnliche Prozesse führen wie die, denen wir bereits früher begegnet sind. 29
EIN BLICK AUFS GEFÄLLE
    Wir wissen nun, wie ineinander verknüpfte Rückkopplungsschleifen zur Umwandlung von Mustern führen können; jetzt aber möchte ich mich einem anderen Musterbildungsmechanismus zuwenden, der auf den ersten Blick auf ganz anderen Prinzipien zu beruhen scheint. Der obere Teil von Abbildung 20 zeigt eine Zellreihe, die bei der Konzentration eines Moleküls ein Gefälle oder einen Gradienten aufweist: Links ist die Konzentration hoch (schwarz), nach rechts nimmt sie graduell ab bis zu einer niedrigen Konzentration rechts (weiß). Zu so einem Gradienten kann es dadurch kommen, dass Moleküle von den Zellen am linken Ende produziert werden und zum anderen Ende hin diffundieren. Nun nehmen wir an, diese Moleküle können die Aktivität eines Gens beeinflussen; das Gen wird

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