Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
können.
(12) Wechselspiel von Verstärkung (positive Rückkopplung) und Wettbewerb (negative Rückkopplung) in einem System nach Turing.
Ein vergleichbares Ergebnis lässt sich auch auf andere Weise über eine leicht abgewandelte Form des Wettbewerbs erreichen. 25 Nehmen wir an, das selbstfördernde Molekül katalysiert nicht nur seine eigene Produktion, sondern auch die eines anderen Moleküls, das wir Hemmstoff nennen wollen. Das hemmende Molekül beeinträchtigt das selbstfördernde Molekül so, dass es nicht weiter als Selbstkatalysator wirksam werden kann. Wieder kommt es zu zwei Rückkopplungsschleifen – einer positiven und einer negativen –, aber diesmal beruht die negative Rückkopplung auf dem Hemmstoff und nicht auf der Substrat-Begrenzung. Beginnen die selbstfördernden Moleküle zuzunehmen, so katalysieren sie zugleich die Produktion von mehr Hemmstoff, der ihrer Zunahme entgegenwirkt. Das selbstfördernde Molekül ist damit wieder zum Opfer seines eigenen Erfolgs geworden, denn je mehr davon produziert wird, desto mehr von seinem Hemmstoff entsteht zugleich. Wieder ergibt sich am Ende ein Muster von Flecken hoher Konzentration.
In diesem Fall kommt es bei der Zunahme des selbstfördernden Moleküls zur Begrenzung, weil ein Hemmstoff produziert wurde, und nicht wegen des Wettbewerbs um begrenzte Substratvorräte. Das Grundprinzip – eine negative Rückkopplungsschleife, die von einer selbstfördernden Einheit angetrieben wird – ist aber ganz ähnlich. Ich verwende daher den Begriff Wettbewerb einheitlich zur Beschreibung beider Formen der negativen Rückkopplung, egal ob die Begrenzung auf Hemmung oder auf der begrenzten Menge einer Komponente beruht.
Im Kern dieses Musterbildungssystems erkennen wir eine formale Ähnlichkeit zu dem, was wir in Kapitel 1 für die natürliche Selektion festgestellt haben. In beiden Fällen besteht eine doppelte Rückkopplungsschleife mit den Faktoren Verstärkung und Wettbewerb, die sich aus dem Gleichgewicht zwischen Populationsvariabilität und Persistenz speist. Anders als bei der natürlichen Selektion geht es bei Turings System nicht um Populationen von Organismen, die sich über die Generationen hinweg fortpflanzen, sondern um Populationen von Molekülen, die in sehr viel kürzeren Zeiträumen miteinander wechselwirken. Wir haben es mit ähnlichen Prinzipien wie bei der natürlichen Selektion zu tun, aber sie erscheinen jetzt inneuer Gestalt. Und das Ergebnis ist nicht die Evolution von Organismen, sondern die Umwandlung von Mustern in einem individuellen Organismus.
Als Turing seine Erkenntnisse vorstellte, wusste man noch kaum etwas über die molekularen Mechanismen, die die Musterbildung steuern. Auch wie die Gene funktionieren, war praktisch unbekannt – selbst die DNA-Struktur war noch nicht entdeckt worden. Turings Modell war also hochspekulativ, und es gab wenig direkte Beweise dafür oder dagegen. In den letzten Jahrzehnten aber haben wir ein sehr viel genaueres Wissen darüber erlangt, wie die biologische Entwicklung wirklich funktioniert. 26 Obwohl diese neueren Forschungsergebnisse manchmal in ganz anderen Begriffen als denen von Turing beschrieben werden, wirken dabei doch grundsätzlich ähnliche Prinzipien wie die, die er aufstellte.
MUSTERBILDUNG BEI ZELLEN
Um die Ergebnisse der jüngeren Forschung darzustellen, beginnen wir mit einem Beispiel der Musterbildung aus der Welt der Einzeller. Jedes Mal, wenn sich eine individuelle Bakterie der Art Escherichia coli fortpflanzt, kommt es zu einer Musterbildung: In der Mitte der Zelle bildet sich eine Membran, die die Zelle teilt. Wie schafft es E. coli , für die Teilungsebene genau ihre Mitte zu finden? Die Positionierung der Teilungsebene beruht auf der Wechselwirkung zweier Proteine namens MinD und MinE. 27 Diese Proteine überwachen die beiden Pole der Zelle, verhindern dort die Bildung einer Trennmembran und stellen damit sicher, dass diese nur in der Mitte gebildet werden kann. Beobachten wir MinD und MinE über einen bestimmten Zeitraum, so messen wir eine hohe Konzentration der Proteine an einem Pol der Zelle und ein paar Minuten später eine hohe Konzentration am anderen Zellpol (Abb. 13). Die Proteine verhalten sich wie Polizisten auf Streife, sie pendeln vor und zurück, um sicherzustellen, dass sich an den Polen der Zelle keine Trennmembran bilden kann. Worauf beruht dieses seltsame Verhalten der Min-Proteine?
(13) Überwachung der Zellpole einer E. coli mit
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