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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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ergeben sich solche anatomischen Anordnungen über den Prozess der Evolution. Die befruchtete pflanzliche Eizelle wächst und teilt sich zu Wurzeln, Stängeln und Blättern mit den dazugehörigen vielen Zelltypen. Diese Entwicklungsmuster sind Anpassungen, mit deren Hilfe die Pflanze in ihrer Umwelt besser überlebt, weil sie mit deren räumlichen und zeitlichen Mustern umgehen kann.
    Wir können auch erkennen, dass sich Reaktionen auf Umweltbedingungen per Rückkopplung auf den biologischen Entwicklungsprozess auswirken können. Die Entwicklung von Blüten beruht vielleicht auf der Reaktion auf einen Umweltfaktor, nämlich die Tageslänge. Wir betrachten die biologische Entwicklung gerne als fixen Ablauf, der recht unabhängig von der Umwelt abläuft. Vielleicht liegt das daran, dass unsere eigene frühe Entwicklung im Schutz vor externen Umständen im Mutterleib abläuft. Die Trennlinie zwischen biologischer Entwicklung und Reaktion auf Umweltbedingungen ist aber gar nicht so scharf. Viele instinktive Reaktionen können zu persistenten Veränderungen der Körperorganisation führen, im Muster der Zellen und in ihren Verbindungen innerhalb des Organismus.Diese Veränderungen können auftreten, während der Organismus noch weiter wächst und sich entwickelt. Es gibt keine klare Grenze zwischen biologischer Entwicklung und Reaktion auf Umweltbedingungen, sondern beide sind hochgradig ineinander verwoben. Wir haben diese Interaktion bei Pflanzen verfolgt, aber in der Tierwelt gelten, wie wir gleich sehen werden, ähnliche Prinzipien.
DIE EMPFINDLICHE MEERESSCHNECKE
    Während seiner Reise auf der Beagle faszinierten Charles Darwin die reflexhaften Reaktionen einer großen Meeresschnecke, die er bei einem Aufenthalt auf den Kapverdischen Inseln beobachtete. Er notierte in seinem Reisetagebuch: »Die große Aplysia ist weit verbreitet. Dieser Hinterkiemer ist ungefähr fünf Zoll lang und von schmutzig gelber Farbe mit violetter Äderung. (…) Diese Schnecke stößt, wird sie gestört, eine sehr blasse, violett-rote Flüssigkeit aus, die das Wasser im Umkreis von einem Fuß verfärbt.« 57 Lange Zeit blieben die Reaktionen dieses Tiers, das den deutschen Namen Seehase trägt, einfach nur eine zoologische Kuriosität. Das änderte sich aber in den 1960er Jahren, als Eric Kandel an der New York University eine kalifornische Variante dieser Schnecke, die Aplysia californica (Abb. 45), als Gegenstand für die Erforschung der genauen Mechanismen von tierischen Reaktionen auswählte. 58 Wie bei anderen Tieren beruhen die reflexartigen Reaktionen der Aplysia auf Nervenzellen oder Neuronen. Für den Forscher besteht der Vorteil des Seehasen gegenüber vielen anderen Tieren darin, dass seine Neuronerelativ groß sind, so dass sie leicht zu sehen und zu manipulieren sind. Außerdem sind sie nicht allzu zahlreich – das Gehirn der Aplysia enthält etwa 20000 Neurone, wenig im Vergleich zu unseren etwa 100 Milliarden. Doch bevor wir bei diesem System genauer ins Detail gehen, wollen wir zunächst allgemeine Eigenschaften der Neurone untersuchen.
    (45) Die Meeresschnecke Aplysia californica .
    Auf Abbildung 46 sehen wir ein vereinfachtes Diagramm von zwei miteinander verbundenen Neuronen. Wir erkennen, dass jedes Neuron über mehrere Regionen verfügt. Der zentrale Zellkörper enthält den Zellkern, und davon gehen viele kurze Zweige aus, die so genannten Dendriten. Jedes Neuron besitzt außerdem einen langen Fortsatz, das Axon. Das Axon endet in einigen Zweigen mit kleinen Knoten oder Schwellungen am Ende, die sehr nah an der Zellmembran eines anderen Neurons liegen. Diese Verbindungsstellen heißen Synapsen.
    (46) Zwei Neurone.
    Jedes Neuron befindet sich in einem von zwei Stadien: Es ruht, oder es feuert. Ein Neuron befindet sich wahrscheinlich meistens in der Ruhephase, in der nicht viel passiert. Dann aber schaltet es irgendwann auf Feuern um und sendet ein elektrisches Signal oder Aktionspotenzial vom Zellkörper aus durch das Axon. Wie das nächste Neuron darauf reagiert, hängt davon ab, was passiert, wenn das Signal am Ende des Axons die Synapse erreicht. Jede Synapse ist eine Schaltstelle, die das einlaufende elektrische Signal in ein chemisches Signal umwandelt, das dann den Spalt zwischen den beiden Zellen überwindet. Erreicht ein elektrisches Signal eine Synapse, sowerden Signalmoleküle, die so genannten Neurotransmitter, ausgeschüttet und diffundieren schnell durch den Spalt, um Rezeptoren auf der

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