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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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gegenüberliegenden Zellmembran zu reizen. Neurotransmitter können entweder erregend oder hemmend wirken. Als Erreger steigern Neurotransmitter die Wahrscheinlichkeit, dass die Zelle jenseits des Spalts selbst weiterfeuert, während sie als Hemmer diese Wahrscheinlichkeit verringern. Je nachdem, was für Neurotransmitter ausgeschüttet werden und welche Rezeptoren auf der gegenüberliegenden Seite des Spalts vorhanden sind, kann eine Synapse also stimulierend oder hemmend wirken.
    Kehren wir nun zurück zu unserer Meeresschnecke Aplysia . Berührt man sie sacht am Sipho – einer fleischigen Röhre, die Wasser ausstößt –, so zieht sie schnell ihre Kiemen zurück. Dieser Kiemenrückziehreflex soll den Atemapparat der Schnecke vor möglichem Schaden schützen. Die meisten Nervenzellen des Seehasen sind in so genannten Ganglien zusammengefasst. Der Kiemenrückziehreflex wird von einem dieser Ganglien gesteuert, dem Abdominalganglion. Dieses Ganglion enthält etwa 2000 Nervenzellen, von denen zwei in Abbildung 47 dargestellt sind. Das schwarz gezeichnete Neuron besitzt berührungsempfindliche Enden im Sipho. Am anderen Ende, innerhalb des Ganglions, ist das schwarze Neuron über stimulierende Synapsen (in Abb. 47 mit gekrümmten Linien dargestellt) mit einem anderen, hier grau gezeichneten Neuron verbunden. Das graue Neuron, das so genannte Motoneuron, besitzt ein Axon, das bis an die Kiemenmuskeln reicht. Wird der Sipho berührt, so feuert das schwarze sensorische Neuron und schickt über sein Axon ein Signal an die Synapsen im Ganglion. Das bewirkt eine Ausschüttung des erregenden Neurotransmitters Glutamat, das wiederum das graue Motoneuron zum Feuern veranlasst, so dass die Kiemen zurückgezogen werden. Die Reflexreaktion hängt von genau dieser Anordnung neuronaler Verbindungen und Synapsen ab, die am Sipho beginnen, zum Abdominalganglion führen und an der Kieme enden.
    (47) Sensorisches Neuron (schwarz) und motorisches Neuron (grau) mit Synapse im Abdominalganglion der Seeschnecke Aplysia californica .
    Der Kiemenrückziehreflex ist nur eine von vielen möglichen Reaktionen des Seehasen auf Umweltveränderungen. In Abbildung 48 sehen wir, wie das gesamte zentrale Nervensystem der Schnecke organisiert ist. Es gibt neun Nervenknoten oder Ganglien, von denen jeder mehrere tausend Nervenzellen enthält. Unterschiedlicher sensorischer Input richtet sich jeweils an unterschiedliche Ganglien. Der Kiemenrückziehreflexetwa betrifft Berührungsrezeptoren in der Haut, die ihre Signale an das Abdominalganglion senden. Signale aus dem Auge gehen an ein anderes, nämlich das Cerebralganglion, und die vom Mund an das Buccalganglion.
    (48) Das Gehirn der Aplysia .
    Der Aufbau des Gehirns in verschiedenen neuronalen Nervenknoten oder Ganglien ist ein Spiegelbild dafür, wie Ereignisse in der Umwelt korrelieren. Wenn ein Gegenstand das Tier berührt, reizt er die umliegenden Rezeptoren in der Haut. Andere Rezeptoren des Tiers bleiben unbetroffen. Benachbarte Hautregionen werden tendenziell am häufigsten gleichzeitig gereizt – ihre Aktivität ist tendenziell hoch korrelativ. Das spiegelt sich in ihrem Vernetzungsmuster – ihre Nervenenden laufen in dieselbe Region des Abdominalganglions, wo sie über Synapsen mit nahe gelegenen Motoneuronen verbunden sind. Eng zusammenhängende Inputs aus den sensorischen Regionen neigen also im Nervensystem zu enger Verknüpfung. Das ist insofern logisch, als ähnliche Inputs häufig ähnliche Reaktionen erfordern; räumliche Nähe zwischen den betroffenen Nervenenden vereinfacht das, weil sich geeignete Synapsen bilden können.
    Dasselbe Prinzip gilt auch für andere sensorische Reizmodalitäten. Gelangt ein Gegenstand ins Gesichtsfeld, werden viele optische Neurone zum Feuern angeregt, während andere Neurone ruhig bleiben. Und wenn das Tier etwas frisst, wird eine Reihe von Neuronen im Mund gereizt, während die Neurone im Auge die Vorgänge ignorieren. Die Korrelation bei der Reizung von Neuronen, die demselben sensorischen System angehören, ist also höher als bei unterschiedlichen sensorischen Systemen. Dieses Korrelationsmuster spiegelt sich in der räumlichen Organisation des Nervensystems: Outputs aus den sensorischen Neuronen im Auge führen zum Cerebralganglion, während die vom Mund zum Buccalganglion führen.
    Dennoch handeln die Ganglien nicht völlig isoliert voneinander.Was eine Schnecke frisst, kann zum Beispiel mit dem korrelieren, was sie sieht – ein

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