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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B.C. Schiller
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ich mit Raul nicht nur am Pokertisch, sondern auch in der Wohnung geredet? Wenn wir uns gestritten hätten, dann nur wegen meines unprofessionellen Verhaltens oder wegen Rauls Spielsucht, die ihn in den Ruin trieb. Es kann nicht mehr als ein leichter Stoß gewesen sein, ohne böse Hintergedanken, aber mit fatalen Folgen. Doch an so etwas will ich nicht denken und konzentriere mich lieber wieder auf die Fragen des Polizisten.
    „Und Sie haben niemanden gesehen, auch nicht im Treppenhaus?“, wiederholt er die Frage, die mir bereits Isabelle Wagner gestellt hat.
    „Nein. Aber das habe ich doch schon alles Ihrer Kollegin erzählt“, antworte ich leicht gereizt, denn Rauls Tod geht mir ziemlich nahe und ich will endlich alleine sein mit meiner Trauer. „Warum wiederholen Sie all diese Fragen?“
    „Ganz ruhig, junge Frau, ganz ruhig bleiben!“ Der Kollege von Isabelle Wagner zündet sich ultracool mit einem Zippofeuerzeug eine Zigarette an.
    „Raul war bis über beide Ohren verschuldet. Wahrscheinlich hat er auch heute Abend wieder alles verspielt. Dann hat er die Panik bekommen und keinen Ausweg mehr gesehen“, lasse ich mich aber mit meinen Hypothesen nicht bremsen. „Wenn ich früher hier gewesen wäre, dann hätte ich ihm noch helfen können! Aber so war er alleine mit seinen Problemen und ist in den Tod gesprungen.“
    „Klingt ziemlich einleuchtend!“, stimmt mir der Polizist zu und ich fühle mich auf der sicheren Seite. Doch sein spöttisch hochgezogener Mundwinkel sagt mir, dass er noch ein Ass im Ärmel hat.
    „Übrigens, das hatte der Tote in seiner Hand.“ Er fingert einen kleinen Plastikbeutel aus der Brusttasche seines Uniformhemdes. „Wie erklären Sie sich das, Adriana See?“ Dabei betont er meinen Vornamen überdeutlich.
    Ich starre auf den Papierfetzen in der Folie und alles beginnt sich zu drehen. Darauf steht in Rauls fein ziselierter Handschrift: „Warum nur, Adriana? Warum nur?“

14. Samstag - frühmorgens

    Der Schock ist groß, wenn man plötzlich in einer Gemeinschaftszelle mit randalierenden Frauen, illegalen Prostituierten und weiblichen Schlägern konfrontiert wird. Da genügt oft schon ein einziger falscher Blick und man wird zusammengeschlagen, niedergetreten und getötet, noch ehe die Polizei eingreifen kann.
    Der Wachbeamte, der uns eigentlich im Auge behalten soll, ist aber so von seinem zerfledderten Pornoheft gefangen, dass wir ungehindert abhauen könnten, wenn die Gittertür zu unserer Zelle offen stehen würde.
    Weshalb ich hier bin? Ganz einfach, der Polizist, der meine Aussage aufgenommen hat, war der Meinung, dass der Zettel, den Raul in der Hand gehalten hat, mich überaus verdächtig machen würde. Ich konnte mir keinen Reim auf diese Worte machen: „Warum nur, Adriana? Warum nur?“ Die beiden Sätze waren von einem größeren Stück Papier abgetrennt worden und deshalb komplett aus dem Zusammenhang gerissen. Das habe ich ihm auch sofort gesagt, doch wie schon öfter hat er nur gelangweilt mit den Achseln gezuckt.
    Er bleibt skeptisch und lässt mich deshalb hier in dieser Zelle mit den anderen Frauen schmoren, bis ich mit einer anderen Version meiner Geschichte auftauche oder die Kriminalpolizei sich um mich kümmert. Noch hat Raul offiziell Selbstmord begangen, aber der Polizist hat so seine Zweifel und verdächtigt mich. Auch Isabelle Wagner, die Polizistin mit dem nicht vorhandenen Privatleben, kann mir nicht helfen, da sie Angst vor ihrem Kollegen hat, so jedenfalls interpretiere ich ihre Passivität.
    Ich drücke mich vorne bei den Gitterstäben herum, um sofort loszuschreien, wenn ich angegriffen werde. In der Zelle gibt es weder Fenster noch Klimaanlage und die Luft ist daher auch dementsprechend schlecht. Aus den Augenwinkeln beobachte ich die anderen Frauen, die entweder teilnahmslos am Boden hocken oder mit ihren Fäusten gegen unsichtbare Gegner kämpfen. Eine junge Prostituierte, die höchstens sechzehn Jahre alt ist, fixiert mich mit ihren glanzlosen Augen, die auf eine schwere Drogenabhängigkeit schließen lassen. Als Fotografin kenne ich diesen Blick, ich habe das bei Models schon oft gesehen.
    Nachdem ich diesem Mädchen ein aufmunterndes Lächeln geschenkt habe, drehe ich mich wieder den Eisenstäben zu, versuche das Chaos der letzten Tage irgendwie in eine sinnvolle Ordnung zu bringen. Begonnen hat alles damit, dass ich zuhause in meinem Bett aufgewacht bin und diese Erinnerungsfetzen hatte. Ich lief nackt und blutüberströmt durch die

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