Die Fotografin
Wohnung meines Liebhabers und fand seine Leiche. Daneben lag ein Messer, das ich in die Hand nahm, dann wieder fallen ließ. Ich habe Erinnerungslücken und weiß daher nicht, ob ich meinen Liebhaber Talvin Singh ermordet habe oder nicht. Als ich das nachprüfen will, stellt sich heraus, dass ein Talvin Singh angeblich überhaupt nicht existiert und sich unser Verhältnis nur in meinem Kopf abgespielt hat. Das klingt allerdings ziemlich unwahrscheinlich und viel zu weit hergeholt, um wahr zu sein.
„Alles wiederholt sich“, flüstere ich gegen die Wand und denke dabei an Björn. Der große, blonde Schwede Björn brachte mir vor fünf Jahren das Segeln bei und nahm mir die Angst vor dem Wasser. Bei Sonnenuntergang lagen wir oft auf dem Bootssteg seines kleinen Ferienhauses in den Schären außerhalb von Stockholm und liebten uns, während die Wellen gegen die Pfeiler des Stegs rauschten. Björn zeigte mir auch, wie aufregend Sex im Wasser sein kann. Durch Björns Liebe konnte ich die Tragödie um meinen Sohn Paul vergessen, der knapp zwei Wochen zuvor ertrunken war. Eines Tages ist Björn mit seinem Boot alleine hinaus aufs Meer gefahren. Stunden später fand die Küstenwache ein auf dem Meer treibendes leeres Segelboot und identifizierte mich anhand der Bootsnummer als Mieter. Völlig aufgelöst erzählte ich der Polizei, dass mein Freund Björn Swedenborg verschwunden und wahrscheinlich über Bord gegangen ist. Die Suche nach Björn dauerte über eine Woche und neben Küstenwache und Polizei waren auch zwei Marinehubschrauber im Einsatz. Auch in den Medien wurde groß darüber berichtet. Doch dann stellte ein Polizeischüler fest, dass ein Björn Swedenborg nie existiert und ich also gelogen hatte. Aber ich leugnete bis zuletzt, so lange, bis es keinen Ausweg mehr gab. Mein Mann Gregor weiß natürlich von dieser Affäre, denn er hat mich ja auch in Begleitung unseres Familienfreundes Hans von der schwedischen Polizei abgeholt und in die Klinik gebracht. Der Parteivorsitzende war alles andere als begeistert, so jedenfalls schilderte mir Gregor die Situation viel später und um Haaresbreite hätte ich damals Gregors Zukunft in der Partei ruiniert. Doch das ist längst vorbei, jetzt ist Gregor der Star und die Partei kann im laufenden Wahlkampf nicht auf ihn verzichten. Wenn ich keine Schwierigkeiten mache …
Der Schmerz kommt so unerwartet, dass ich vor Überraschung keinen Ton hervorbringe. Es ist der Dorn meiner Gürtelschnalle, der in meiner Handfläche steckt, genau dort, wo ich mir vor Tagen an dem rostigen Geländer die Haut aufgerissen habe. Die kleine sechzehnjährige Prostituierte zieht den Dorn geschickt aus der Wunde, hält ihn mir jetzt an den Hals, ist bereit, sofort erneut zuzustechen. Ihre drogensüchtigen Augen glänzen jetzt euphorisch und ich weiß, dass sie mich jederzeit umbringen kann.
„Ich ficke nicht mit Frauen, verstehst du? Also mach mich nicht an, du perverses Stück Dreck!“, zischt sie mir ins Ohr und will mir zwischen die Beine greifen. „Lass mich in Ruhe, sonst kommen meine Jungs und machen dich alle!“
„Adriana See! Los, kommen Sie!“ Der Wachbeamte sperrt die Zelle auf und winkt mich nach draußen. Erst jetzt fällt ihm auf, dass ich an der Hand blute und mein Gürtel seitlich an meiner Jeans herunterbaumelt. „Ach du Scheiße!“, rutscht es ihm heraus. „Da hat jemand vergessen, ihr den Gürtel abzunehmen!“, schreit er erbost nach hinten, doch niemand reagiert darauf.
„Sie wollte mich umbringen!“, schluchze ich und deute auf das ausgemergelte Mädchen, das in ihrem ultrakurzem Minirock und dem pinken Nickipullover auf Schulmädchen macht. Der Wachbeamte sieht mich überrascht an und schüttelt den Kopf.
„Also, mir ist nicht aufgefallen, dass sich die Kleine von der Stelle gerührt hat“, murmelt er und schiebt mich in einen hellerleuchteten Gang.
„Wenn ich es doch sage!“, insistiere ich. „Das Mädchen hat mich angefallen, weil sie glaubt, ich bin eine Lesbe und will etwas von ihr.“
„Aha, und stimmt das?“, fragt der Beamte völlig teilnahmslos.
„Nein, das sage ich doch! Sie hat das nur geglaubt und mich dann mit meinem eigenen Gürtel attackiert.“
„Wie soll das gehen, wenn Sie den Gürtel an Ihrer Hose tragen? Das müssen Sie doch bemerkt haben. Oder haben Sie bewusst Ihren Gürtel und Ihre Hose geöffnet ...“ Den Rest der Frage lässt er unausgesprochen im Raum stehen und lächelt wissend.
„Schon gut, schon gut!“, murmele ich
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