Die Fotografin
sehr interessant. Vielleicht kann ich dir helfen! Wir treffen uns später in meiner Wohnung! Marion hat auch schon etwas angedeutet, aber ...“
„Was? Marion hat mit dir geredet?“ Ich muss mich zwingen, nicht laut loszuschreien! „Wahrscheinlich weiß bereits die ganze Stadt darüber Bescheid. Und du hältst mich jetzt wohl für komplett verrückt!“
„Du sollst mich ausreden lassen“, unterbricht mich Raul. „Ja, sie hat mir von deinem Problem erzählt, ohne allerdings ins Detail zu gehen. Sie macht sich eben Sorgen um dich. Ist ja auch irgendwie verständlich, denn wozu hat man sonst Freunde. Obwohl du das nicht zu schätzen scheinst. Also dann bis später in meiner Wohnung. Komm in zwei Stunden, aber nicht früher. Du hast doch noch den Schlüssel?“
„Natürlich!“, nicke ich und drücke Rauls Hand.
Unter den missbilligenden Blicken des Spielleiters senkt Raul seine Stimme, sodass sie zu einem heiseren Flüstern wird.
„Wir müssen dringend reden, Adriana! Ich habe jetzt über vieles nachgedacht und glaube, dass ich im Begriff bin, einen großen Fehler zu machen.“
Unheil braut sich über meinem Kopf zusammen, das spüre ich, als ich Raul verlasse. Lange sehe ich ihm in die Augen, es ist wie ein Abschied für immer. Im blutroten Gang mit der flackernden Neonröhre sitzen jetzt überall Paare auf dem Boden, trinken aus Sektflöten und betatschen sich gegenseitig wie bei einer Orgie. Der wummernde Beat lässt den Boden vibrieren und die Wände zittern. Vorne aus der Damentoilette kommt eine schwarzhaarige Frau, die im flackernden Neonlicht nur undeutlich zu sehen ist. Trotzdem glaube ich, Marion zu erkennen.
„Marion!“, rufe ich auf gut Glück, doch die Frau reagiert nicht und ist auch schon im Gewühl der Bar verschwunden, ehe ich sie erreichen kann. Na wenn schon!, denke ich und schlängle mich im Rhythmus der Beats durch das aufgeheizte Publikum. Die Suche nach meiner Tinkerbell-Fee habe ich aufgegeben, jetzt interessiert mich, was mir Raul so dringend zu erzählen hat. Mein Gefühl sagt mir, dass es mit dem Verschwinden von Talvin zu tun hat und dass ich knapp davor bin, dieses Rätsel zu lösen.
Ich fühle mich aufgekratzt und gleichzeitig erschöpft, als ich aus der Bar hinaus auf die Straße trete. Gierig atme ich die warme Nachtluft ein und beschließe, ein wenig ziellos durch die Straßen zu streifen, ehe ich in Rauls Wohnung gehe. Ein Polizeiauto fährt mit Blaulicht an mir vorbei und ich muss unwillkürlich an Isabelle Wagner, die einsame Polizistin denken. Ich ahne nicht, dass ich sie noch in dieser Nacht wiedersehen werde.
13. Freitag - nachts
Isabelle Wagner, die Polizistin mit den bernsteinfarbenen Augen, stößt einen genervten Seufzer aus und schüttelt den Kopf. Ihre Gesichtsfarbe ist noch grauer als die Tage zuvor und sie sieht wie immer unglaublich müde aus. Das Funkgerät, das sie in den Gürtel gehakt hat, knistert und spuckt unverständliche Laute aus. Der verkommene Innenhof des Hauses ist mit einem rot-weiß-roten Polizeiband abgesperrt und ein Mann in einem Einweg-Schutzanzug stapft auf dem unregelmäßigen Kopfsteinpflaster umher. Der Fundort der Leiche ist mit Klebeband umrissen und nummerierte Kärtchen weisen auf verdächtige Indizien hin, die von der Spurensicherung bereits eingetütet wurden. In einem zu einem mobilen Verhörraum umgebauten Kastenwagen der Polizei sitzt eine Zeugin, die gleichzeitig Hauptverdächtige sein könnte und das bin ich.
„Sie schon wieder! Was ist passiert?“
Isabelle Wagner klemmt sich eine widerspenstige Strähne ihres dünnen Haares hinter das Ohr und sieht mich fragend an. Ein Notarzt hat mir ein Beruhigungsmittel gespritzt, mich aber für vernehmungsfähig erklärt. Als ich die Stimme von Isabelle Wagner höre, wische ich mir schnell die Tränen aus dem Gesicht, schniefe kurz und drehe mich überrascht zu ihr um.
„Ich tausche immer die Nachtdienste“, kommt Isabelle Wagner meiner Frage zuvor. „Ich kann sowieso nicht schlafen. Also was genau ist geschehen?“
„Raul ist tot!“, bringe ich gerade noch hervor, dann beginne ich erneut, hemmungslos zu schluchzen. „Das ist alles so entsetzlich!“
Ein trauriges Lächeln huscht über das graue Gesicht von Isabelle Wagner, deren Alter ich nur schwer schätzen kann. Aber ich denke, sie ist Mitte dreißig und ernährt sich ausschließlich von Tiefkühlkost. Wozu sollte sie auch kochen, wenn es niemanden gibt, mit dem sie Tisch und Bett teilt.
Aber im Augenblick
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