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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B.C. Schiller
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interessiert mich das nicht, denn ich bin noch immer völlig fassungslos über den Tod von Raul. Total apathisch beantworte ich ihre Fragen, kann einfach nicht glauben, was passiert ist. Noch drei Stunden zuvor habe ich mit Raul gesprochen und jetzt ist er tot und seine Leiche ist schon weggebracht worden. Dann fasse ich mir ein Herz und erzähle Isabelle Wagner alles, was bisher geschehen ist. Ich spreche über Talvin, der plötzlich aufgehört hat zu existieren und über das Mädchen mit dem Tinkerbell-Tattoo, das seine Existenz beweisen könnte. Ich berichte von Raul und seinen merkwürdigen Andeutungen nur wenige Stunden vor seinem Tod. Isabelle Wagner hört mir schweigend zu und gibt keinen Kommentar ab.
    „Isabelle, kommst du mal?“ Ihr Kollege befragt gerade den Mann, der mich angeblich auf dem Balkon gesehen hat, als Raul gesprungen ist. Er hat bemerkt, dass Isabelle Wagner mich kennt und will eine mögliche Voreingenommenheit verhindern. Deshalb wechseln sie sich in der Befragung ab. Der Polizist schlingert bedrohlich langsam auf mich zu, steht breitbeinig wie eine Machokarikatur vor mir, hakt zu allem Überfluss auch noch seine Daumen in den Gürtel. Pistole, Handschellen und Schlagstock glänzen im Licht der grellen Scheinwerfer, welche die Spurensicherung überall aufgestellt hat. Unter seinen Achseln bilden sich riesige Schweißflecken und sein Testosteron ist körperlich spürbar. Über mir klappern ständig die Fensterläden, doch nirgends wird Licht angedreht. Die Bewohner des Hauses verfolgen die Szene im Dunkeln wie im Kino. Er genießt seinen großen Auftritt, denn seine Kollegen von der Kriminalpolizei sind noch nicht eingetroffen. Es deutet im Moment ja alles auf Selbstmord hin, deshalb haben sie die Befragung zunächst an ihn delegiert.
    Der Kollege von Isabelle Wagner ist ein anderer Polizist als damals in dem indischen Laden und ich merke sofort, dass er mich unsympathisch findet. Als ich ihm von meiner Suche nach dem Mädchen mit dem Tinkerbell-Tattoo erzähle, runzelt er die Stirn, hält mich für ziemlich überspannt. Hellhörig wird er erst, als ich auf meine Unterhaltung mit Raul zu sprechen komme und darauf, dass mir Raul so dringend etwas erzählen wollte.
    „Sie sind also in die Wohnung gekommen und haben noch gesehen, wie Herr de Castro vom Balkon gesprungen ist?“
    „Nein, das habe ich nicht gesehen! Ich habe ihn unten im Hof liegen sehen!“, antworte ich und blättere in meinem geistigen Bildarchiv. Raul wohnt im dritten Stock eines sanierungsbedürftigen Altbaus im zentralen, aber doch etwas heruntergekommenen zweiten Bezirk. Daher sind auch die Mieten hier noch relativ günstig. Ich war in einem Programmkino, um die Zeit totzuschlagen, das kann ruhig nachgeprüft werden, denn ich habe mich mit der Kassiererin über den Film unterhalten. Dann bin ich ziellos am Donaukanal entlangspaziert, habe aber keinen Menschen getroffen, bis ich in Rauls Wohnung gekommen bin. Halt, doch … da war eine Frau, deutlich kleiner als ich, die kurz zuvor aus dem Haus ging. Oder war es das Nebenhaus? Jedenfalls hat sie sofort die Straßenseite gewechselt, als sie mich sah und ist dann schnell verschwunden. Das sage ich auch dem Polizisten, doch der hört mir nur mit mäßigem Interesse zu.
    „Wie sind Sie in die Wohnung gelangt?“ Der Polizist liest die Frage von einem Block ab, den Isabelle Wagner auf dem schmalen Tisch im Verhörwagen liegen gelassen hat.
    „Ich habe einen Schlüssel für die Wohnung.“ Das müsste sich mit meiner früheren Aussage decken. Als ich die Tür aufschloss, spürte ich sofort diese unheilschwangere Atmosphäre. Die Luft in Rauls Wohnung war abgestanden und schnürte mir die Kehle zu. Was muss mir Raul bloß Wichtiges mitteilen?, dachte ich unentwegt und verrannte mich in den Gedanken, dass er vielleicht das fehlende Stück meiner Erinnerung kannte, dieses entscheidende Puzzleteil und mich fragen wollte, warum ich Talvin getötet habe.
    „Ich habe mich über den Balkon gebeugt, das stimmt. Aber Raul lag schon im Hinterhof!“, bleibe ich bei meiner Aussage, die im Widerspruch zu der des anderen Zeugen steht. Dieser gab nämlich zu Protokoll, dass ich mich über den Balkon gebeugt hätte, während Raul nach unten stürzte. Was aber natürlich nicht stimmt.
    Denn ich habe Raul nicht in der Wohnung getroffen. Unser kurzes Gespräch war am Pokertisch, dafür gibt es Zeugen. Später habe ich nicht mehr mit Raul gesprochen oder verwechsle ich schon wieder alles? Habe

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