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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Albtraum.
    Felis war schon wieder verschwunden, wahrscheinlich streifte das Tier durch die Gewölbe, die in den Fels gehauenen Caves. Dort unten würde es jetzt kühl und feucht sein, das Wasser lief bei jedem Regen in kleinen Rinnsalen aus den Felsen, als ob sie ein Schwamm wären, den jemand ausquetschte.
    Plötzlich sah sie ihn vor sich, wie er damals morgens ins Schlafzimmer gekommen war, in Jeans, mit weißem Hemd, das seine Haut noch brauner schimmern ließ. Er hatte verlegen ausgesehen und den Kopf zur Seite geneigt. Sie hatte das kleine Fellknäuel auf seiner Schulter erst gar nicht bemerkt.
    »Sie heißt Felis.« Seine Hände legten sich behutsam um das maunzende Etwas. Er sah sie noch immer nicht an, als er es ihr in den Schoß legte.
    Einen Moment lang wußte sie nicht, was sie sagen sollte. Alles in ihr sträubte sich gegen die warmen Gefühle, die in ihr hochstiegen, als das kleine Wesen zu schnurren begann. So ein Tier konnte überfahren oder gestohlen werden, weglaufen, von Hunden totgebissen oder von Uhus gefressen werden.
    Endlich sah er sie an, mit diesem Blick, den sie nie hatte deuten können. »Nicht alles verschwindet, nur, weil du es liebst.«
    Sie hätte fast geweint bei diesem Satz. Und dann stieg alles wieder hoch, die ganze Geschichte, als wäre sie ihr gerade erst passiert und nicht schon hundertfach in allen bunten Blättern breitgetreten worden, seit aus ihr »die Millionenerbin Alexa Senger« geworden war. Die zweiundzwanzigjährige Erbin mit der tragischen Geschichte. Deren Vater ein Held wurde, als sie zehn Jahre alt war.
    Das Kind war Vaters Liebstes. Es war immer schneller an der Tür als Mutter, wenn er endlich wieder nach Hause kam. Es wurde zuerst geküßt und bekam zuerst sein Geschenk. Es wollte Vater heiraten, wenn es mal groß war. Oder wenigstens so einen wie ihn: mit breiten Schultern, braunen Augen, dunklen Locken und in einer eleganten Uniform. Und mit diesem Geruch nach Pfeifentabak und Rasierwasser.
    Das Kind liebte es, wenn Besuch kam und fremde Kinder dabei waren. Dann konnte man das Spiel spielen: und welchen Beruf hat dein Vater? Es gab Kinder, die hatten nur eine Mutter, und die war dann meistens Lehrerin oder auf Halbtagsstelle. Arzt, sagten andere Kinder, oder Kaufmann. Richter. Angestellter. Und ganz zum Schluß kam das Kind dran. Das zierte sich eine Weile und sagte schließlich: Flugkapitän. Und dann waren alle ganz still.
    Das Kind war Vaters kleine Prinzessin. Das sagte er jedenfalls immer, wenn er es zur Begrüßung hochnahm und herumwirbelte. Oder wenn er morgens früh wieder fahren mußte und ans Bett kam und ihm einen Abschiedskuß gab. Nie hatte das Kind den Vater böse gesehen. Nur einmal. Es war wegen Mutter.
    »Was soll ich nur machen?« Das Kind hatte jedes Wort verstanden, das Mutter Vater zuflüsterte, als er endlich wieder nach Hause gekommen war.
    »Sie hört nicht auf mich, sie gibt Widerworte, sie hat einen entsetzlichen Dickkopf. Wenn du nicht da bist, ist es ganz schlimm.«
    »Petze«, hatte das Kind gedacht. »Vater mag keine Petzen.«
    Aber Vater war an diesem Abend das erste Mal streng geworden. »Du folgst deiner Mutter, hast du verstanden?« Er hatte so anders ausgesehen, als er das sagte. So abweisend. So kalt. Das Kind war weinend hinausgelaufen.
    Am nächsten Morgen mußte er wieder fort. Er hatte das Kind nicht zum Abschied geküßt. Oder – hatte es seinen Abschied verschlafen? Das Kind grübelte lange darüber nach. Denn am Tag darauf kam der Anruf.
    Mutter stand mit grauem Gesicht in der Küchentür. »Vater… Sie haben seine Maschine entführt.« Das Kind begriff nicht, worüber sie sich aufregte. Was konnte schon geschehen? Ihm konnte niemand etwas anhaben.
    Das Kind tröstete die Mutter, für die es sich ein bißchen schämte, wegen ihrer Schwäche. Das Kind lächelte überlegen, wenn es die besorgten Gesichter von Lehrern und Mitschülern sah. Das Kind duckte sich, wenn Fremde ihm den Kopf streicheln wollten. Es wußte es besser. Es wußte, daß er es überleben würde, das, wovon man jeden Tag in den Nachrichten hörte: die Hitze, die Wüste, die bewaffneten Männer. Vater war unverwundbar. Vater würde immer nach Hause kommen zu seiner kleinen Prinzessin. Und zu Mutter.
    »Wir müssen jetzt ganz tapfer sein«, sagte Mutter, als das Undenkbare geschehen war. Das Kind war so tapfer, wie man nur sein kann, wenn man sich wie versteinert fühlt. Vater war nicht zurückgekommen, er würde nie zurückkommen. Vielleicht, dachte

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