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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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das Kind, hatte er nicht zurückkommen wollen.
    Und dann war die Welt düster geworden. Irgendwann wachte das Kind auf aus dem Albtraum und schlug mit beiden Fäusten auf die Mutter ein. Sie war schuld, ihretwegen war er tot.
    »Er hat es für die Menschen getan«, hatte Mutter ganz sanft gesagt und seine Arme festgehalten. »Er mußte es tun.«
    Und ich? schrie es in dem Kind. Zähle ich gar nicht?
    In der Schule nannte man ihn einen Helden.
    »Weniger Held und dafür nicht tot wäre mir lieber«, hörte das Kind die Mutter einer Mitschülerin sagen. »Du kannst stolz sein auf deinen Vater«, sagte Onkel Heinrich und das Kind fragte sich, warum ihm dann die Tränen in den Augen standen.
    Er war ein Held. Das war der einzige Zauberspruch, der half, wenn das Kind aufwachte und sein Gesicht vor sich sah, seine vorwurfsvollen Augen, den Tadel hörte in seiner Stimme.
    »Ich habe ihn enttäuscht«, dachte es. »Deshalb ist er nicht zurückgekommen. Aber wenigstens ist er ein Held.«
    Er hatte die ganze Zeit nichts gesagt, während die Geschichte aus ihr heraussprudelte, als erzählte sie sie das erste Mal. Und seine Stimme klang mühsam beherrscht, als er endlich etwas sagte. »Alexa, dein Vater ist nicht zurückgekommen, weil er es nicht wollte. Dein Vater ist mit Gewalt daran gehindert worden. Von Leuten mit Namen und Gesichtern…«
    Sie hatte ihn nicht ausreden lassen. »Ich will das nicht wissen.« Dann war sie aus dem Zimmer gelaufen.
    Sie wollte es noch heute nicht wissen. Das Schicksal dieser Leute interessierte sie nicht. Was immer aus ihnen geworden war: es würde doch nichts ändern. Nichts an der Vergangenheit und nichts an dem, was sie fühlte. Es gab nur ein Mittel gegen die Angst, gegen die quälende, ewige Angst, verlassen zu werden: nichts und niemanden nahekommen zu lassen.
    Nur mit Ben war sie nicht vorsichtig genug gewesen. Dabei hätte sie gewarnt sein müssen: Er war schließlich nie ganz da gewesen, er war ein Mann, der zu tun hatte und unterwegs war und wenig verriet von seinem Leben.
    »Ich komme bald zurück«, hatte er gesagt und sie geküßt an diesem Morgen vor vielen Wochen. Eine Woche später rief er an. »Ich brauche Zeit, Alexa.« Sie hatte ihn kaum verstanden. Und dann der letzte Anruf. »Tut mir leid, Liebes, aber…« Dann war die Verbindung zusammengebrochen. Seither hatte sie nichts mehr von ihm gehört.
    Warum? Es gab keinen Streit, er hatte nichts gesagt, nichts angedeutet, nichts erkennen lassen. Im Gegenteil. Die Nacht, bevor er ging, war… Alexa spürte, wie ihr heiß wurde beim Gedanken an die Zärtlichkeit und Hingabe, mit der sie sich geliebt hatten in der warmen Luft unter dem Sternenhimmel.
    Er war so abrupt verschwunden, wie er aufgetaucht war in ihrem Leben. Sie stopfte sich das Kissen fester hinter den Rücken und sah der Wolke hinterher, die draußen am Himmel vor dem Schlafzimmerfenster vorbeisegelte. Er kam er blieb er ging. Die alte öde Geschichte. Und dennoch ließ sie der Gedanke an ihn nicht los. Wenn er mich gar nicht geliebt hat, dachte sie. Wenn er mich nur benutzt hat…
    Aber wäre er dann gegangen? Sie hörte die spöttische Stimme Catherines: »Na wenigstens weißt du jetzt, daß er nicht hinter deinem Geld her war!« Das trieb sie aus dem Bett. Die ewige Grübelei machte alles nur schlimmer. Auf nackten Füßen ging sie in die Küche, goß sich ein Glas Apfelsaft ein und nahm es mit nach draußen auf die Terrasse.
    Diesmal mußte sie nicht lange nach der Katze suchen, sie hörte das jämmerliche Maunzen sofort. Wie das Tier aufs Dach über der Terrasse hinaufgefunden hatte, war ihr ein Rätsel. Jetzt stakste Felis unruhig an der Dachrinne entlang und stieß verzagte Laute aus. Alexa streckte beide Arme nach oben. Eine hilflose Geste, das Dach war viel zu hoch. Sie könnte den Gartentisch heranziehen – einen Stuhl darauf stellen – und dann…
    Schlag dir das aus dem Kopf, dachte sie. 80 Prozent aller Unfälle passieren im Haushalt und wahrscheinlich auf genau diese dämliche Art. Sie ging energisch zur Tür, um eine Leiter zu holen. Schon wurde das Maunzen auf dem Dach panisch. Die Angst des Tieres packte sie, sie begann, hin und her zu laufen und selbst ängstliche Laute auszustoßen.
    Nach einem besonders jämmerlichen Schrei von oben blieb sie stehen. Das Tier war alleine hinaufgestiegen, dann müßte es auch alleine herunterkönnen. Tatsächlich war es von der Dachrinne aus nicht tief zur Mauer, die die Terrasse begrenzte. Sie versuchte, die Katze

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