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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Augenbraue? Hatte sie die schon mal gesehen? Sie drehte den Kopf zur Seite. Das Gesetz der Schwerkraft: ihr Kinn war auch nicht mehr so gerade und straff wie früher.
    Dorothea v. Plato legte die Fingerspitzen an die Schläfen und zog die Haut sanft nach oben. Das machte zwar ein paar Jahre jünger, aber auch so war die junge Frau nicht wiederzuerkennen, an die sie so ungern dachte. Die Frau mit dem kurzsichtigen Blick, dem verlegen lächelnden Mund, dem unordentlichen Haar. Nach einer Weile ließ sie die Hände sinken.
    »Nie wieder jung! Endlich erwachsen!« flüsterte sie. Der einzige Haken daran war das Älterwerden, waren die glanzlos und dünner gewordenen Haare, die feinen Linien, die sich um ihren Mund gelegt hatten wie Plissee. Sie versuchte erst gar nicht, sie zu zählen.
    Nie wieder jung sein. Nie wieder so verzweifelt und so unbedarft sein, so traurig und so unsicher. So unglücklich, so verklemmt. Sie hatte alles getan, damit nichts mehr erinnerte an die ungelenke Frau, die rot wurde und stotterte, wenn man sie ansprach. Die an den Fingernägeln kaute, manchmal jedenfalls. Die sich ständig entschuldigte. Und sie wollte auch von niemandem daran erinnert werden.
    Aus ihrem Bekanntenkreis käme sowieso niemand auf die Idee, daß die Frau von damals etwas mit der von heute zu tun haben könnte. Es war, als hätte sie sich mehrfach gehäutet, alles Ungefähre und Unsichere abgelegt. Heute setzte sie Schwäche nur noch gezielt ein, weil die Leute es mochten, wenn man sich ab und zu menschlich gab. Theoretisch wußte jeder, daß auch die Mächtigen der Welt mal klein angefangen hatten – aber kaum jemand vermochte es sich vorzustellen. Dorothea v. Plato lächelte ihr schönstes Siegerlächeln. Sie verließ sich auf die Aura der Macht.
    Manchmal fragte sie sich, wie es wohl wäre, wenn einer aus ihrem früheren Leben auf sie zukäme, unbeeindruckt von dem, was sie heute darstellte. Einer, der »Wie hast du dich verändert!« rufen würde oder »Weißt du noch? Wie du damals blind wie eine Eule…« Wahrscheinlich würde sie ihn noch nicht einmal wiederkennen.
    Nur an einen erinnerte sie sich gut, sie hatte sich all die Jahre an ihn erinnert – ausgerechnet an ihn, bei dem ihr das Vergessen besonders gut bekommen wäre. Immer, wenn sie an ihn dachte, ballte sich in ihrem Magen eine Mischung aus Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen zu einem Klumpen aus Feuer und Eis und brannte sich den Weg die Speiseröhre hoch.
    Dorothea spitzte den Konturenstift an und zog die Lippen nach, bürstete ihr Haar nach hinten, sprühte großzügig Haarspray darüber und warf sich einen letzten kritischen Blick zu im Spiegel. Dann schlug sie die Badezimmertür hinter sich zu. Was würde sie sagen, wenn er plötzlich vor ihr stünde?
    Wenn sie seinen wirren Brief richtig verstand: Genau das schien er anzudrohen.
    Dorothea v. Plato nahm das Kuvert auf, das sie auf die Vitrine im Flur geworfen hatte. In ihrer Ungeduld war es ihr nicht gelungen, die vielen Seiten wieder richtig in den Umschlag zu stekken. Erst hatte sie nicht begriffen, zu wem die unordentliche Handschrift auf dem Umschlag und der phantasievolle Einsatz von Grammatik und Orthographie gehörten. Und dann war ihr kalt geworden. Wollte er wirklich zurückkommen? Nach all den Jahren? In »die Heimat«, wie er rührenderweise schrieb?
    Oder wollte er sie, völlig unromantisch, erpressen?

5
    Beaulieu
    I n der Nacht war das Gewitter zurückgekehrt. Der Sturm weckte sie. Alexa bildete sich ein, noch nie ein vergleichbares Geräusch gehört zu haben. Es brauste nicht, was da mit Urgewalt vor dem Fenster vorbeifegte, es orgelte. Sie setzte sich auf. Felis kam mit gesträubtem Fell zur Schlafzimmertür herein und kroch unter die Bettdecke, wo sie sich zwischen Alexas Beinen zusammenrollte.
    Ausnahmsweise hatte sie keine Angst, auch nicht, als der Donner in immer kürzeren Abständen auf den Blitz folgte. Und als das Licht in der Nachttischlampe flackerte und ausging. Endlich setzte der Regen ein, erst zaghaft, dann heftiger.
    Sie wickelte sich fester in die dünne Decke und sog die kühle Luft ein, die durch das geöffnete Fenster hereinwehte. Es war viel zu heiß gewesen die ganze Zeit und viel zu trocken, Menschen, Pflanzen, Steine und Tiere hatten sich gesehnt nach einem Regenguß. Nach einer Weile dämmerte sie wieder ein. Als sie erwachte, war die Luft frisch, der Himmel, den sie durchs hohe Fenster des Schlafzimmers sehen konnte, blau und sie hatte tief geschlafen. Ohne

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