Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
dahinter.
    Das Kind nahm die Krawattennadel, die Manschettenknöpfe, die Sonnenbrille aus dem Karton und legte alles zu der Brieftasche auf die Bettdekke. Seine Armbanduhr lag dabei, die Schuhe hatten sie mitgeschickt. Und ganz zum Schluß fand das Kind das kleine silberne Ding. Es war eine Sankt-Christophorus-Medaille, ein Talisman, den es ihm zu Ostern geschenkt hatte, damit er immer sicher nach Hause käme. Das Kind hob sie auf, betrachtete sie ein paar Sekunden lang und warf sie mit aller Kraft in die Ecke, wo sie klirrend landete. Frau Kutschera blickte tadelnd.
    Das Kind glaubte schon lange nicht mehr an den Weihnachtsmann. Es hatte bis vor kurzem noch an Sankt Christophorus geglaubt. Aber das war vorbei, spätestens als Mutter sagte: »Wir müssen jetzt ganz tapfer sein.«
    Alexa öffnete die Tür. Sie knarrte, im Türrahmen hingen Spinnweben, aber die Glühbirne an der Decke tat es noch. Sie kletterte über einen Schiffskoffer, mehrere Pappkartons und drei ineinandergestellte Stühle mit zerrissenem Korbgeflecht, um ans Fenster zu gelangen. Die Scheiben waren angelaufen und das Fenster ließ sich nur mit Gewalt öffnen. Dann stieß sie die Läden auf und ließ Licht und Luft hinein.
    Der Raum war zu schön, um als Gerümpelkammer zu dienen. Sie ließ den Blick hoch zur gewölbten Decke gehen. Wie eine Kapelle. An der Schmalseite war ein steinernes Waschbecken in die Wand eingelassen, das mit einem gemauerten Bogen und Steinborden rechts und links versehen war. Wie ein Altar. Links vom Fenster, das ebenfalls in Stein eingefaßt war und ein steinernes Sims hatte, erkannte sie etwas, das ein Wandschrank zu sein schien. Auch hier gab es eine bogenförmige Begrenzung nach oben, in deren Scheitel ein Stein eingelassen war, der ein Relief erkennen ließ. Vielleicht ein Wappen?
    Sie knotete das T-Shirt in der Taille zusammen und begann, die Stühle zu sortieren. Zwei kleine bäuerliche Stühle mit durchgesessenen Sitzen ließen sich als Ständer für die Blumentöpfe auf der Terrasse benutzen. Die Stühle mit heiler Sitzfläche konnte sie über das Haus verteilen.
    Das sperrige Gitterbett schleppte sie schwitzend und fluchend in den Keller. Die Krüge und Schüsseln, die sie im Schiffskoffer fand, brachte sie in die Küche und stellte sie in den Abwasch. In zwei zusammengedrückten Kartons waren Bücher. Sie legte sie vor die Tür, vielleicht war unter den alten Schwarten ja etwas, das man ins Regal stellen konnte.
    In der obersten der drei Kisten unter dem Fenster fand sie Hochglanzillustrierte und teuer aussehende Fotozeitschriften. Die mußten Ada Silbermann gehört haben. Alexa stellte die Kiste beiseite. In der mittleren lag zuoberst ein Rucksack, kein leichter, luftiger Kunststoffrucksack, sondern ein Museumsstück aus hellgrünem Segeltuch mit dunkelgrünen Lederriemen. Aus irgendeinem Grund klopfte ihr das Herz, als sie ihn öffnete. Sie zog ein Halstuch heraus und eine Kappe, wie sie Golfspieler trugen. Dann kamen ein Fernglas und zwei undefinierbare Objekte, das eine sah nach Fotozubehör aus. Dann ein Päckchen Tempotaschentücher und eine Schachtel mit Lutschpastillen. In der untersten Ecke des Rucksacks umfaßten ihre Finger eine Lederschatulle. Sie hatte einen Fotoapparat in der Hand, in einem hellbraunen Lederetui, in das »A. S.« eingestanzt war. Für einen Moment hielt Alexa die Luft an. A. S.
    – wie Alexa Senger…
    Sie strich mit dem Zeigefinger über die Buchstaben und horchte in sich hinein. Der Rucksack mußte Ada Silbermann gehören. Warum war er hiergeblieben, zusammen mit einem ihrer Fotoapparate? Hatte ihr Mann ihn vergessen? Oder hatte er ihn mit Absicht dagelassen?
    Tat ihm die Erinnerung weh? War er wütend und enttäuscht? Was hatte er gefühlt, als sie plötzlich nicht mehr da war? Was fühlt man, wenn es zu spät ist für Worte oder Gesten – für eine Umarmung?
    Das Kind wurde älter, aber es verstand nicht, warum die Mutter immer seltener Zeit hatte, wenn es »Erzähl mir von Vater« sagte. Und es verstand erst recht nicht, daß sie irgendwann begann, einen anderen Mann zu lieben. Es gab, dachte das Kind, das kein Kind mehr war, nur den einen.
    Hans Senger. Den Helden von Amman.
    Edwin Schwarz war bloß ein Spielzeugfabrikant aus dem Schwäbischen. Im Unterschied zu Vater aber lebte er, machte Mutter glücklich und hatte Geld wie Heu.
    Das Kind war kalt und steif vor Ablehnung. Es ließ den Fremden spüren, daß es nur einen Vater gab in seinem Herzen. Es ließ die Mutter

Weitere Kostenlose Bücher