Die Fotografin
hin. Sie schien zu glauben, daß er es nötig hatte. Dankbar lächelte Paul zurück.
Er war bei einer Karaffe Viognier angelangt, ein lokaler Weißwein, der gar nicht schlecht war für die Gegend, als Karen endlich auftauchte.
»Und? Hast du nachgedacht?«
»Telefoniert habe ich. Aber samstags ist das aussichtslos. Immerhin habe ich eines in Erfahrung gebracht: Philipp Persson ist nicht einschlägig bekannt.«
Und Alexa Senger? wollte Bremer fragen, als sich jemand neben ihm räusperte.
»Pardon, Messieursdames, ich bitte höflichst um Vergebung für die Störung, aber ich hätte da eine Frage…«
Bremer sah überrascht auf, während Karen keine Miene verzog. Der Gendarm drehte seinen Hut zwischen den Händen und sah verlegen aus.
»Was will er?« fragte Karen im Ton äußersten Desinteresses.
Bremer blickte M. Boisset fragend an.
»Der Tote, Sie wissen ja, der Mann, den Sie und Lucien Crespin gefunden haben…«
Paul nickte. Ihm war während der kurzen Vernehmung am Tatort aufgefallen, wie mitgenommen der Polizist wirkte. Wahrscheinlich gab es in dieser Gegend so selten Mord und Totschlag, daß zwei Todesfälle kurz hintereinander die ermittlerische Kapazität der örtlichen Gendarmerie völlig überforderten.
»Er hat eine Frage, was den Toten betrifft, den wir heute morgen…«
»Wir sind nicht auskunftsberechtigt«, sagte Karen vornehm und machte ein kerzengrades Kreuz.
»Sag ihm das. Wir…«
Der Gendarm deutete eine Verbeugung in ihre Richtung an und sagte: »Die Pistole, die man bei Ada Silbermann gefunden hat, war eine deutsche Mauser 0.8, die Waffe im Fall Persson eine tschechische CZ 27, gnädige Frau – falls es das ist, was Sie wissen möchten.«
Karen drehte ihm trotzig die Schulter zu.
»Ich« , sagte Bremer bestimmt. »Ich bin gefragt. Du erlaubst?« Er wartete keine Antwort ab, sondern nickte dem Gendarmen zu. Boisset griff in die rechte Tasche seiner Dienstjacke und holte eine Klarsichthülle mit einem dunkelroten Reisepaß heraus.
»Hier, sehen Sie.« Er nahm das amtliche Dokument aus der Hülle, klappte es auf und legte es Bremer vor. Paul spürte belustigt, wie Karen ebenfalls nach dem Paß schielte. Boissets kleine braune Augen blinzelten spöttisch. »Hier, Madame, Sie können ruhig hinschauen.«
»Philipp Persson, geboren am…« Bevor Bremer zu Ende lesen konnte, hatte der Gendarm ihm das Schriftstück wieder weggezogen. Dann griff er in seine andere Jackentasche und holte einen Plastikbeutel hervor. Darin lag ein weiteres Dokument, grau, speckig, abgegriffen, unansehnlich. Wahrscheinlich mehrfach in der Gesäßtasche einer Jeans durch die Waschmaschine gewandert. Genauso, wie bundesrepublikanische Führerscheine aus den 70er Jahren auszusehen pflegten.
Der Junge auf dem ausgebleichten Bild trug einen Vollbart und hatte die Haare aus dem Gesicht stramm nach hinten gekämmt. Wahrscheinlich waren, wie damals üblich, die Haare im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er sah nur entfernt dem Mann auf dem Foto im Reisepaß ähnlich, aber man konnte zur Not auf die Idee kommen, daß der eine die jüngere Version des anderen war.
»Und dann…« Boisset legte einen Zettel auf den Tisch, einen Einkaufszettel, dem ersten Eindruck nach.
»›Konto‹«, las Bremer laut vor.
»Das versteh ich«, sagte Boisset und tippte mit dem Finger auf das Wort danach. »Aber das?«
»›Patrone für Tintenstrahldrucker BJC 80‹.« Boisset machte eine Bewegung, als ob er ein Gewehr anlegte.
Bremer schüttelte den Kopf und versuchte zu erklären. Währenddessen las Karen den Rest des Zettels vor: »›Dorothee!! Briefumschläge! Kaffeebohnen!!!!‹ – ein Einkaufszettel, das ist alles.«
Boisset seufzte. Dann legte er ein Foto auf den Tisch. Der Mann, der da einer Dame den Schlag aufhielt, sah dem toten Philipp Persson ziemlich ähnlich – nur jünger schien er zu sein. Die Dame…
»Simone Signoret«, flüsterte Karen neben ihm.
»Und der Mann ist…«
»Für meinen Freund Martin«, las Bremer laut vor. Wieso Martin?
Er hörte, wie Karen neben ihm geräuschvoll die Luft ausstieß.
»Martin Schmid«, sagte sie. »Gelernter Klempner. Geriet nach 1978 in die Terroristenszene. Beim Überfall auf die Deutsche Botschaft in Ankara 1981 schwer verwundet. Nach Tripolis ausgeflogen. Gut ein Jahr später ausgestiegen – er hat sogar ein Buch darüber geschrieben. Und es ging durch die Presse, daß er sich eine Zeitlang als Chauffeur oder Bodyguard von der Pariser Schickeria durchfüttern
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