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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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ließ. Dann ist er verschwunden.«
    Boisset runzelte die Stirn. »Sie kennen den Mann?«
    »Was heißt hier kennen? Er war ein besonders schillerndes Exemplar«, sagte Karen, ohne Boisset anzusehen. Als Bremer übersetzte, wurde das Gesicht des Gendarmen starr.
    »Wir werden der Sache nachgehen, Madame, Monsieur«, sagte er, »ich danke Ihnen für Ihr unschätzbares Entgegenkommen.« Der Gendarm verneigte sich, drehte sich schneidig um und marschierte von dannen.

6
    E s war noch nie Dorothea v. Platos Lieblingsbeschäftigung gewesen, tatenlos herumzusitzen und auf das Schicksal zu warten. Aber sie machte seit Stunden nichts anderes, die Hände in den Schoß gelegt, die Augen in weite Fernen gerichtet. Martin war tot, sie hätte sich befreit fühlen müssen. Aber sie spürte etwas anderes. Mitleid. Trauer. Schuldgefühle.
    Es hatte ihr das Herz zusammengezogen, ihn so zu sehen. So hatte er auch damals auf der Bahre gelegen, als sie ihn wegtrugen nach dem Massaker. Genauso, mit diesem verklärten Lächeln, die eine Hand auf den Bauch gepreßt, da, wo es ihn erwischt hatte, die andere erhoben im schwachen Versuch, das Siegeszeichen zu machen. Das Siegeszeichen.
    Sie hatte damals geglaubt, die Welt sei verrückt geworden. Vom Attentat auf den amerikanischen Präsidenten über den Anschlag auf den Papst bis zur Ermordung des ägyptischen Staatspräsidenten – alles Schreckliche war plötzlich möglich. Und in ihrer Erinnerung gab es immer irgend jemanden, der nach einer Bluttat triumphierend die Finger zum »V« erhob.
    Die Gewalt schien täglich näher zu kriechen.
    Marianne Bachmeier erschoß den Mörder ihres Kindes im Gerichtssaal. Der hessische Wirtschaftsminister verblutete im Bett. Und der schlimmste Tag in diesem gewalttriefenden Jahr 1981… Sie erinnerte sich an die Kälte, die ihr damals in die Knochen gekrochen war, als sie die Bilder sah. Der deutsche Botschafter, der, Haltung bewahrend, vor dem geöffneten Fenster im zweiten Stock der Botschaft stand und dann plötzlich lautlos und langsam nach vorne kippte. Die Frau im schwarzen Kopftuch, die mit einer Maschinenpistole um sich ballerte. Und dann der Mann auf der Bahre.
    »Während sich die anderen Geiseln noch in der Hand der Kidnapper befinden, wird der deutsche Terrorist Martin Schmid, der bei dem Feuergefecht durch einen Bauchschuß schwer verletzt wurde, ins Krankenhaus nach Tripolis ausgeflogen. Sanchez, wie sich der Anführer der Terroristenbande nennt, hat mit der Erschießung weiterer Geiseln gedroht, falls Schmid nicht binnen acht Stunden dort eingetroffen ist.« So oder so ähnlich faßte der Sprecher der Tagesschau die Ereignisse zusammen. Sie hatte damals zusammengekrümmt auf der unbequemen Couch in ihrer Hinterhofwohnung gehockt, im dunklen, ungeheizten Wohnzimmer. Sie hätte sich längst eine neue Wohnung leisten können. Aber sie brauchte ihr Geld für Wichtigeres. Das Überkronen der oberen Zahnreihe – »Ihr neues Lächeln«, wie der Zahnarzt scherzte – kostete mehr, als sie erwartet hatte.
    Das Schlimmste waren nicht die Bilder. Das Schlimmste waren die Schuldgefühle, die von ihr Besitz ergriffen, je länger sie auf den Bildschirm starrte. Wieso hatte sie die Zeichen nicht ernst genommen, warum hatte sie Martins Abgleiten in den Terrorismus nicht rechtzeitig bemerkt? Hätte sie ihn zurückhalten können? Der zweite Gedanke war noch unbehaglicher: Hatte er sie womöglich längst hineingezogen in den terroristischen Untergrund? War sie, ohne es zu wissen, zur Täterin geworden? Sie sah sich im Gefängnis. Endstation aller Lebenspläne.
    Dorothea spürte wieder das Kältegefühl, das sie damals packte, eine Kälte, die von innen kam und nichts mit der Raumtemperatur zu tun hatte.
    »Was ist passiert?« hatte sie ihn gefragt, gestern abend, in seinem Haus in Beaulieu, während sie sich mit einem Küchenhandtuch die Haare trocknete. Er hatte hochgeschaut, immer noch lächelnd, das Gesicht vielleicht noch blasser als zuvor. Dann sagte er etwas, das sie nicht verstand, er sagte es fast flüsternd, wie eine Liebkosung.
    Sie hatte ihn fragend angesehen, während sein Lächeln immer strahlender wurde. Er sagte es nochmal. Und schließlich verstand sie.
    »Alexa«, hatte er geflüstert. »Alexa.«

7
    I ch muß nachdenken.« Das war alles, was Karen eingefallen war gestern abend, bevor sie auf ihr Zimmer ging. Als sie nach einer Stunde noch nicht wieder aufgetaucht war, wechselte Bremer, der Madames Küche in der Auberge du Sud zur Genüge zu

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