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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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ermordet worden. Und wie im Fall Rauch möchte jemand nicht, daß über Mord auch nur nachgedacht wird.«
    »Klarer Fall: der Mörder!« Der Mann versuchte, einen Scherz zu machen. Dorothea hätte ihm, wäre sie gefragt worden, davon abgeraten. Mit der Frau scherzte man nicht.
    »Sicher. Und seit wann sitzt der Mörder in den Ermittlungsbehörden?« Man hörte, wie die Staatsanwältin auftrumpfte.
    »Aber Karen…« Der Mann klang gequält.
    »Ich folge lediglich deiner Logik. Oder kennst du jemand anderen, der ein Interesse am Vertuschen hat?«
    Die beiden, die eben noch so einträchtig Hypothesen entwickelt hatten, vertieften sich jetzt in ihre eigenen Gedankenspiele.
    »Aber es gibt noch so viele andere Möglichkeiten«, sagte der Mann schwach.
    »Und welche?« Die Staatsanwältin mischte die Bierdeckel wie ein Kartenspiel, fächerte sie auf und begann, sie aufs neue auf dem Tisch zu verteilen.
    »Da ist Ernest Silbermann, Ehemann eines Opfers. Dann Alexa Senger. Die Tochter eines Terroropfers. Späte Rache, panische Flucht.«
    »Und woher wußte sie, wer Philipp Persson wirklich war?«
    »Die Steckbriefe hingen damals überall.«
    »Meine Güte, Paul! Das ist fast zwanzig Jahre her! Da war sie noch ein Kind. Und Schmid war in die Aktion, bei der ihr Vater ermordet wurde, gar nicht verwickelt.«
    »Soweit wir wissen.«
    »Wir wissen es.«
    »Und wenn ihr das völlig egal ist? Er ist ein Terrorist, punktum. Und dem wünscht sie den Tod. Und dann…«
    »Legt sie ihn um mit einer Waffe, die aus einem Raubüberfall…«
    »Vielleicht war es gar nicht ihre Waffe. Vielleicht war es seine.«
    »Und er wäre dann derjenige, der Eva Rauch erschossen hat? Höchst unwahrscheinlich.« Die Staatsanwältin schüttelte den Kopf.
    »Sofern Alexa Senger überhaupt etwas mit der Sache zu tun hat, dann war sie mit größerer Wahrscheinlichkeit eine unbeteiligte Zeugin, die beseitigt werden mußte.«
    »Kann sein. Ich habe sie jedenfalls am Abend gesehen, etwa um die Zeit, zu der Martin Schmid umgekommen sein muß.«
    Ich auch. Aber um diese Zeit hätte man auch mich sehen können, dachte Dorothea v. Plato und spürte der seltsamen Unruhe nach, die mit jedem Zug aus der mittlerweile dritten Zigarette anwuchs. Und ich hatte ein weit besseres Motiv.
    Der Mann beugte sich plötzlich vor und griff nach dem Arm der anderen. »Karen!« Dorothea hörte die Anspannung in seiner Stimme. »Du vergißt die Opfer! Du weißt nicht, was das heißt, wenn man den Vater verliert und womöglich die Mutter gleich noch dazu!«
    »Natürlich weiß ich, was du meinst.« Das sollte ihn wohl beschwichtigen, aber es klang eher ungeduldig.
    »Nichts weißt du. Kinder begreifen noch nicht, daß die Welt eigene Gesetze hat. Alles kreist in ihrer Vorstellung um sie selbst. Der kindliche Größenwahn läßt sie annehmen, es läge an ihnen, wenn Vater und Mutter verschwinden.«
    »Grundkurs Küchenpsychologie«, murmelte die Frau.
    Der Mann seufzte. »Alexa war zehn Jahre alt, als ihr Vater nicht zurückkehrte. Glaubst du, das Kind hätte schon verstanden, warum er fort war?«
    »Meinst du nicht, daß man den Tod des Vaters irgendwann einmal im Leben überwunden hat?« Die Staatsanwältin klang erstaunt.
    »Nicht, wenn sich die Trauer mit Schuldgefühlen verbindet. Das solltest du eigentlich wissen. Als meine Mutter…«
    »Paul! Ich kenne deine Geschichte.«
    Ihr Gegenüber lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. »Aber du verstehst sie nicht.«
    Ich auch nicht, dachte Dorothea und ließ das Glas kreisen, in dem sich Orangensaft und Campari zu einem satten Abendsonnenrot vermischt hatten. Sie hätte gut auf ihn verzichten können, auf den schlechtgelaunten alten Mann, der ihr Vater war. Der mittags schon mit dem Schnapstrinken anfing und seinen Lebensabend vor dem Fernseher verdämmerte, bis man ihn, drei Monate nach dem Tod seiner Frau, mit den Füßen zuerst heraustrug aus dem engen Haus in Grünau.
    Aber was wäre gewesen, wenn ihr Vater ein anderer gewesen wäre – ein Mann wie Hans Senger? War es vorstellbar, einen wie ihn so zu lieben, daß man ihn noch nach all den Jahren würde rächen wollen?
    Als der Mann vor ihr aufsprang und winkte, sah auch Dorothea wieder hoch. Über den Place des Platanes näherte sich ein seltsames Paar: ein aufrechter alter Herr hinter einem ebenfalls schon älteren Hund mit schütterem roten Fell, der ihn ungeduldig an der Leine vorwärtszog.
    »Das ist Lucien Crespin. Irgend etwas scheint nicht in Ordnung zu sein.«

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