Die Fotografin
hatte sie ihn umgebracht. Oder sie war sein Opfer geworden.
Mit einem Mal traute Bremer sich nicht mehr, weiterzugehen, durchs Eßzimmer hindurch ins nächste Zimmer. Das Haus schien zu atmen, die Atmosphäre war wie aufgeladen, und die Spannung wuchs von Minute zu Minute. Er fürchtete sich vor dem, was er womöglich finden würde. Fast mit Erleichterung hörte er draußen den Schrei und lautes Hundegekläff.
Er lief hinaus, die Treppe hinunter in den kleinen Hof, in dem er vorhin Crespin zurückgelassen hatte.
Der alte Herr saß auf dem Boden neben der Treppe und hielt sich die Hand vors Kinn. Ruby stand heiser kläffend am Tor, drehte sich wie schuldbewußt zu seinem Herrchen um und lief dann entschlossen auf die Straße.
»Ruby!«
Als der alte Mann die Hand vom Gesicht nahm, sah Bremer, daß er blutete.
10
I ch bin Karen Stark«, sagte die Frau und hielt ihr die Hand hin. »Schön, Sie kennenzulernen.«
Dorothea setzte die Sonnenbrille ab. Wieder landete ihr Zeigefinger auf der Nasenwurzel, als ob da eine andere Brille wäre, die sie hochschieben müßte.
Karen Stark musterte sie mit einer Direktheit, die ihr unter anderen Umständen unangenehm gewesen wäre. »Ich frage mich die ganze Zeit, was Sie in ein so schlichtes südfranzösisches Dorf wie Beaulieu verschlagen hat. Und…« – die Frau grinste entwaffnend – »… und wie es Ihnen in der Auberge du Sud gefällt!«
Dorothea hätte am liebsten zurückgegrinst. Aber sie wußte nicht mehr, was sie eigentlich sagen wollte. Ich habe Martin Schmids letzte Worte gehört, und die hießen »Alexa«?
Vielen Dank, würde die Staatsanwältin sagen, mein Freund legt mir auch dauernd die junge Senger als Täterin nahe.
Und was sollte sie darauf antworten? Etwa: Lassen Sie doch das arme Kind in Ruhe! Und außerdem hatte ich ein viel besseres Motiv als Alexa Senger! »Ich war die Freundin von Martin Schmid, kurz bevor er in den Untergrund ging«, sagte sie schließlich.
Karen Stark nickte, so, als ob sie das nicht weiter überraschte. »Sie wissen also von seinem Tod.« Sie schien nachzudenken. »Und – Sie haben ihn hier besucht?« fragte sie vorsichtig.
»Ich hatte es jedenfalls vor.« Wie unsicher das klang. Wie schuldbewußt. Wenn sie wirklich den Verdacht auf sich lenken wollte, war ihr das jetzt sicher gelungen.
»Haben Sie ihn oft gesehen in den letzten zwanzig Jahren?« Die Frau klang sachlich interessiert, mehr nicht. Dorothea schüttelte den Kopf.
»Nicht ein einziges Mal. Aber seit einigen Wochen schrieb er mir Briefe. Und darin ging es vor allem um eines: Er wollte sich stellen, er wollte zurückkehren, wieder in Deutschland leben.«
»Und dabei wollten Sie ihm helfen?«
Dorothea hätte fast losgelacht. »Im Gegenteil. Ich wollte ihn von diesem Unsinn abbringen.«
Karen Stark sah sie unverwandt an. Dann machte sie »Hmmm.«
»Er hätte mit einigen Jahren Haft rechnen müssen.«
»Aber vielleicht wollte er diesen Preis bezahlen – um wenigstens für den Rest seines Lebens nicht mehr auf der Flucht zu sein?«
»Vielleicht.«
»Und warum wollten Sie ihm dabei nicht helfen?« Die Stark klang echt erstaunt.
Verstehe. So einem hilft man. Würde ja jeder machen, dachte Dorothea mit mildem Grimm. Vor allem, wenn man als Dorothee Köppen etwas für ihn getan hat, das Dorothea v. Plato auf alle Zeiten erpreßbar macht. Aber das konnte sie einer Staatsanwältin schlecht erzählen.
»Du bist die einzige, die mir helfen kann, Thee.« Sein Besuch war unerwartet gewesen, mindestens so unerwartet wie der Kosename, mit dem er sie schon seit Monaten nicht mehr angeredet hatte.
Er guckte sie auf eine Weise an, die sie früher unwiderstehlich gefunden hatte: den Kopf zur Seite gelegt, die Augen groß und dunkel.
»Es ist nur eine Kleinigkeit«, sagte er dann.
»Nicht weiter wichtig. Macht nichts, wenn du nicht willst.«
Sie hatte ihn lange gemustert. Er hatte sich die Locken geschnitten, so daß sie sich eng um seinen Kopf legten. Es tat ein bißchen weh, zu spüren, wie attraktiv sie ihn noch immer fand. Aber dann sah sie die Linien um seinen Mund und die Unruhe in seinen Augen. Alles sah sie seit kurzem schärfer. Auch den Druck, unter dem er stand, trotz seiner zur Schau getragenen Lässigkeit.
Und plötzlich hatte sie Mitleid mit ihm. Das mußte an ihrem neuen Selbstbewußtsein gelegen haben – ein offenbar weit übertriebenes Hochgefühl, das leichtsinnig machte.
»Kein Problem«, hatte sie mit coolem Lächeln gesagt. Ihr war aufgefallen,
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