Die Fotografin
Paul ging dem alten Herrn entgegen.
Dorothea sah Karen zu, wie sie das seltsame Trio beobachtete, das über den Platz schritt und dann die Gasse ins Dorf hinaufstieg. Als ob sie den Blick gespürt hätte, drehte die Staatsanwältin sich um. Für einen Moment schien sie zu stutzen. Dann nickte sie.
»Frau v. Plato.«
»Darf ich mich zu Ihnen setzen?« Dorothea stand auf.
9
E s ist Ruby«, sagte Crespin entschuldigend. Der Hund legte ein beachtliches Tempo vor, dafür, daß er sichtlich nicht mehr der Jüngste war.
»Er benimmt sich so komisch.«
Nach der Rasse des Hundes zu fragen, schien Bremer müßig zu sein. Das Tier sah aus wie eine etwas groß geratene Mischung aus Spitz, Mops und Dackel mit einer Prise Irish Setter. Aber der Name kam ihm seltsam vor. »Warum heißt der Hund Ruby?«
Lucien guckte ihn verständnislos an. »Ruby? Na, nach dem Mann, der John F. Kennedy erschoß!« Bremer sagte nichts. Es erschien ihm schon merkwürdig genug, daß der liebenswürdige alte Herr seinen Hund nach einem Präsidentenmörder nannte – da tat es nichts zur Sache, daß der gar nicht Ruby hieß.
In der Gasse vor Alexa Sengers Haus beschleunigte Ruby, sofern das noch möglich war. Die Leine zwischen Herrn und Hund jedenfalls war straff gespannt, die Rute des Tieres gerade nach hinten ausgestreckt, die Ohren gespitzt. So sah ein Hund aus, der eine Fährte aufgenommen hatte.
Vor dem Tor zu Alexa Sengers Haus setzte er sich auf die Hinterläufe, hob die Schnauze mit den grauen Barthaaren gen Himmel und heulte. Als er Luft holte, hörte man hinter der Tür eine Katze jammern.
»Das macht er neuerdings immer, wenn wir hier vorbeigehen.« Crespin kratzte sich am Hinterkopf.
»Keine Spur von Ihrer Nachbarin?«
»Keine Spur.«
Bremer betrachtete das Tor, das ihm ziemlich solide vorkam, und rüttelte am Türknauf.
»Na ja«, sagte der alte Herr neben ihm und räusperte sich. Bremer sah auf. Crespin versenkte die Hand in die Hosentasche, eine Mischung aus Scham und List auf dem Gesicht, und holte einen großen Schlüsselbund hervor.
»Ich habe noch einen Schlüssel zum Haus. Aus der Zeit, als Madeleine hier wohnte.« Und dann fügte er, leiser, hinzu: »Und Alphonse.«
Bremer grinste den alten Herrn an. »Und worauf warten wir dann noch?«
Der Schlüssel sah handgeschmiedet aus und hatte einen eindrucksvollen Bart. Er bewegte sich wie geschmiert im mindestens so alten Schloß. Dann schwang das Tor auf. Und während Ruby hineinstürmte, den dunklen Gewölben entgegen, die sich vor ihnen auftaten, sprang die Katze die Treppe hinauf nach oben. Bremer folgte ihr. Das Tier mußte ausgehungert sein.
Vorsichtshalber rief er »Frau Senger«, als er oben die unverschlossene Tür öffnete. Die Katze raste zwischen seinen Beinen hindurch hinein, bog nach links, in eine kleine, gut eingerichtete Küche, von der aus man ins Eßzimmer sehen konnte, und sprang auf den Küchentisch. Schwanger, dachte Bremer und tätschelte ihr den Bauch. Er fand eine Dose Katzenfutter im Küchenregal, kippte den Inhalt auf einen Unterteller und setzte ihn auf den Boden. Das Tier stürzte sich aufs Futter. Bremer ging ins Eßzimmer und rief wieder nach Alexa Senger. Dann fiel sein Blick auf den Klostertisch mitten im Raum.
Auf der dicken, dunklen Holzplatte lagen Schwarzweißfotos, angeordnet in drei Reihen. In der ersten Reihe identifizierte er Schornsteine und irgendwelche Pflanzen. Die Fotos in der Mitte zeigten Zeitungsausschnitte. Die Bilder ganz rechts waren Porträts eines Mannes.
Bremer stockte der Atem. Er sah genauer hin.
Es waren insgesamt drei Fotos des Mannes, der sich Philipp Persson genannt hatte und Martin Schmid hieß. Schmid gelöst, Schmid grimmig, Schmid von der Seite – und… Bremer nahm eines der offenbar aus einer Zeitung abfotografierten Bilder in der mittleren Reihe auf und sah näher hin. Er erinnerte sich plötzlich wieder an das Foto, das Foto ging damals um die Welt. Martin Schmid auf der Bahre. Der schwerverletzte Terrorist hatte es fertiggebracht, auf dem Weg ins Krankenhaus selig zu lächeln und Zeige und Mittelfinger der linken Hand der Kamera entgegenzuhalten – zum V gespreizt, für »Victory«.
Alexa Senger wußte es also. Die Tochter von Hans Senger, dem von Terroristen ermordeten Flugkapitän, dem »Helden von Amman«, war in einem kleinen Dorf in Frankreich auf Martin Schmid getroffen, auf einen, der auch mal dazugehört hatte zur internationalen Terroristenszene. Sie hatte ihn wiedererkannt. Entweder
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