Die Fotografin
Moment fühlte sich Bremer, als sei er dabei.
8
D orothea setzte die Sonnenbrille auf, mit der sie noch schlechter sah als ohne, und tastete sich nach unten. In der hintersten Ecke des Gastraums ließ sie sich nieder und bestellte bei Dutoit einen Kaffee. Auf dem Zeitschriftenstapel am Fenster lag unter alten Heften von Coté Sud und Maisons & Decors eine deutsche Klatschzeitschrift. Sie stürzte sich wie eine Süchtige auf das Heft. Es war das einzige, was ihre Mutter gelesen hatte, immer dann, wenn die Nachbarin einen Schwung aussortierter Blätter vorbeibrachte. Geld hätte sie für »so was« nicht ausgegeben, und »das ist nichts für dich, Dorle«, pflegte sie jedesmal zu sagen. Aber sie duldete es immerhin, daß ihre Tochter sich neben sie setzte und die »Praline« las und die »Neue Revue« und die »Bunte«. Und »Constanze«, »Das grüne Blatt« oder »Heim und Welt«. Es waren, dachte Dorothea manchmal, die einzigen friedlichen Zeiten, die sie jemals mit ihrer Mutter verbracht hatte.
Alle diese Zeitschriften boten einem heranwachsenden Mädchen nützliche Informationen, über den weiblichen Orgasmus, das richtige Make-up und die beste Art, sich einen reichen Mann zu angeln. Dorothee Köppen hatte sich manchmal geniert für den Heißhunger, mit dem sie die bunten Blätter verschlang.
Später hatte sie Wichtigeres zu lesen und im Hause v. Plato war man zu distinguiert für »Küchenmädchenlektüre«, wie Arnold das nannte. Aber auch heute noch griff Dorothea beim Friseur immer als erstes zu »Bunte« oder »Gala« – noch immer mit der gleichen Neugier auf die ferne Welt, die ihr dort entgegentrat. Mit dem einen Unterschied, daß das, was ihr früher glamourös vorgekommen war, ihr später absonderlich erschien. Mittlerweile gehörte sie selbst zur Prominenz – allerdings zu einer, die in solchen Blättern selten vorkam.
Marc Dutoit stellte den Kaffee vor sie hin und sah ihr über die Schulter. Das Foto zeigte den Bundespräsidenten auf dem Presseball.
»Haben Sie schon gehört?« fragte Dutoit, der aus ihrer Lektüre zu schließen schien, daß sie sich auch für anderen Klatsch interessierte. Schamhaft legte Dorothea das Blatt beiseite.
»Ein Landsmann von Ihnen. Ein flüchtiger Terrorist. Selbstmord. Die Frau mit den roten Haaren, die draußen sitzt« – er deutete mit dem Kinn auf die Terrasse – »ist Staatsanwältin. Aus Frankfurt.« Seltsamerweise beunruhigte sie diese Nachricht nicht – im Gegenteil: Sie war erleichtert. Wie nach einem Zahnarztbesuch.
»Und dann ist eine weitere Deutsche verschwunden – Alexa Senger. Die Millionenerbin, Sie kennen sie vielleicht…?«
»Nein«, wollte Dorothea schon antworten. Aber das stimmte nicht. Den Namen würde sie nie vergessen. Sie erinnerte sich nur zu gut an den Abend, als sie die Nachricht von der Flugzeugentführung zum ersten Mal hörte. Und, Tage später, an das Bild des Mannes, der vor Captain Mahmed kniete, dessen »Kommando Märtyrer Sayad« das Flugzeug entführt hatte, um einige Topterroristen frei und vor allem das nötige Bargeld zu erpressen. Der Mann hieß Hans Senger. Der Vater des Mädchens. Sie hatte sich damals mit Bangen gefragt, ob Martin nicht vielleicht doch wieder dabeigewesen war – bei einer weiteren dieser sinnlosen, tollwütigen Aktionen. Sie beruhigte sich damit, daß er zu diesem Zeitpunkt bereits seinen Abschied aus der Terroristenszene verkündet hatte – mit viel Dramatik, wortreichen Erklärungen und gutgemeinten Appellen.
Und jetzt war Alexa Senger verschwunden, die es ausgerechnet hierhin verschlagen hatte, nach Beaulieu, einem kleinen Kaff am Rande der Cevennen, in dem – was für ein Zufall – ein untergetauchter Terrorist Zuflucht gefunden hatte, der seinen Ausstieg aus der Terroristenszene vielleicht nur deshalb so laut verkündet hatte, um um so ungenierter… Sie schüttelte den Kopf. Soviel Verstellung traute sie Martin nicht zu.
Und dann erinnerte sie sich an die Begegnung gestern abend, vor dem großen Regen, in der Gasse, die zu Martins Haus hochführte.
»Wie sieht sie aus?«
Dutoit sah sie erstaunt an. Sie strich sich das Haar aus der Stirn und versuchte zu lächeln. Wahrscheinlich wirkte sie ziemlich absonderlich.
»Sie ist sehr hübsch. Lange Locken, braune Augen, schlank…«
Eine Allerweltsbeschreibung – aber sie paßte. Und jetzt drängte sich ein anderes Bild nach vorn.
»Alexa«, hatte Martin gestern geflüstert, mit diesem beseelten Lächeln auf dem Gesicht. Alexa Senger.
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