Die Fotografin
weisen. Aber warum mußte auch Eva Rauch dran glauben?«
Dorothea v. Plato ließ Messer und Gabel sinken und nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas.
»Und was hat Ada Silbermann mit Ihrer und Martins Geschichte zu tun?«
Dorothea v. Plato schüttelte stumm den Kopf.
»Und woher hatten Sie die Tatwaffe? Apropos:
Was war das überhaupt für eine Knarre, mit der Sie auf Martin Schmid geschossen haben?« Die andere sah ratlos aus.
»Und wenn Sie das alles nicht wissen – und Sie wissen es natürlich nicht: Warum bestehen Sie dann darauf, daß Sie die Mörderin Martin Schmids sein könnten?«
Dorothea schob den Teller von sich weg, winkte nach dem Patron und bestellte eine Flasche Badoit. Karen wartete, bis die andere sie wieder ansah, und senkte dann die Stimme. »Und sollte es Ihre Absicht sein, Alexa Senger zu schützen, dann weise ich Sie darauf hin, daß Sie damit erst recht den Verdacht auf sie lenken. Was wissen Sie über sie?« Dorothea v. Plato sah auf. Sie hatte klare Augen, aus denen jede Spur von Verlegenheit verschwunden waren. »Sie haben recht«, sagte sie mit fester Stimme. »Es ging mir wohl mehr um mich als um sie.«
So geht es wahrscheinlich den meisten von uns, dachte Karen spöttisch.
»Manchmal bildet man sich ein, es gäbe etwas gutzumachen.«
»An Alexa Senger?«
Dorothea v. Plato schüttelte eine Zigarette aus der Packung. Sie raucht, dachte Karen. Das paßt gar nicht zu ihr.
»Vielleicht – an Martin. An anderen wie er, die glauben, man müsse seine eigene Vorstellung von Gerechtigkeit durchsetzen, zur Not mit Waffengewalt.«
Noch nie, dachte Karen, hat das die Welt auch nur ein bißchen besser gemacht.
»Wir waren beide zornig auf die Gesellschaft, die uns kalt und ungerecht vorkam. Aber Dorothee Köppen hatte beschlossen, sich durchzusetzen, und wurde irgendwann hart gegen sich selbst. Er richtete seine ganze Kraft, seinen Zorn, seinen Willen gegen alle anderen.«
»Und daran hätten Sie ihn hindern können?« Dorothea v. Plato hatte die kurzsichtigen Augen in die Ferne gerichtet und tastete nach dem Aschenbecher.
»Vielleicht. Ich weiß bis heute nicht, warum sich der eine für diesen Weg, der andere für den anderen entscheidet. Soweit ich weiß, gab es auf meinem Weg keine Toten.« Die Frau senkte den Kopf und zündete sich eine Zigarette an.
Karen sah ihr zu, wie sie den ersten Zug nahm.
»Und Sie? Hat Sie das nie gereizt – der bewaffnete Kampf?« Nicht wenige Frauen hatten damals geglaubt, ihre Vorstellung von Gerechtigkeit mit der Kalaschnikoff in der Hand durchsetzen zu können. Dorothea v. Plato lachte leise. »Ich hatte andere Wege, mein Machtbedürfnis zu befriedigen. Er kannte nur den einen. Und er glaubte sich damit auch noch auf der besseren Seite. Es ließ sich doch alles so schön legitimieren mit höchsten Werten, Kampf für Gerechtigkeit, gegen die Armut, für die Freiheit… Während ich…« Sie verzog das Gesicht. »Ich wurde eine Agentin des Finanzkapitals. Da können Sie mal sehen.«
Am Nachbartisch brach eine Frau in lautes Gelächter aus. In nicht allzuweiter Ferne warf jemand den Rasenmäher an. Karen kam plötzlich alles unwirklich vor. Was machten sie hier? Gehörten sie nicht beide ganz woanders hin?
»Vielleicht muß man es ja so sehen«, sagte Dorothea leise. »Ein kleiner Klempnerlehrling, von seinem Stiefvater endlos gedemütigt und von seiner depressiven Mutter verlassen, ist mit einem Male Cäsar, der den Daumen hebt oder senkt, der über Gut und Böse entscheidet. Martin wollte immer herausragen aus der Masse. Geschichte machen. Einen Moment der Außerordentlichkeit erleben. Und das ist ihm gelungen.«
Karen Stark runzelte die Stirn, als sie an das Siegeszeichen dachte, das Martin Schmid schwerverletzt der Welt entgegengehalten hatte. Solche Leute töteten und zerstörten ohne Rücksicht auf sich selbst und waren sogar noch stolz darauf.
»Und dieser eine Moment hat seinem Leben womöglich lange Zeit Glanz gegeben – bis er hat merken müssen, daß es ein Leben im Nichts war.«
»Hat er das geschrieben, in seinen Briefen an Sie?« fragte Karen.
Die Augen der älteren Frau wurden dunkel. »Ich glaube ja. Aber ich habe es nicht verstanden.«
Karen leerte ihr Glas und goß es gleich wieder voll. Man konnte das vielleicht ausgleichende Gerechtigkeit nennen: Martin Schmid hatte, bevor er gestorben war, nur halb gelebt. »Aber sind das nicht alles gute Gründe für Selbstmord?«
Dorothea zeichnete mit der Gabel die Muster auf dem
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