Die Fotografin
eine Camel aus der Packung und hielt sie Bremer hin, der dankend ablehnte. »Aber die Schaltung ist neu.«
Nur einen Museumseinkäufer würde das abschrecken. Aber es erklärte den günstigen Preis. Er bezahlte mit Euroscheinen.
Monsieur Deleuze betrachtete die Scheine mit melancholischem Gesicht, schüttelte den Kopf, murmelte »Scheißgeld« und steckte es in die Kitteltasche. »Die Reifen sind aufgepumpt«, sagte er, als er das Rennrad von der Kette löste.
Bremer schwang sich hinauf, als bestiege er das magische Einhorn. Und tatsächlich: Wie gewohnt veränderte die Welt vom Sattel aus ihr Gesicht. Die Bergkette am Horizont rückte näher. Der Bach unter der Straßenbrücke murmelte wie ein marokkanischer Geschichtenerzähler. Das Gras duftete süß, der Wind fächelte ihm den Gesang der Insekten und Vögel zu. Bremer fuhr die sanften Schleifen und Kehren der Straße hinunter und hätte fast gejuchzt, als er an ihrem Tiefpunkt wie ein Vogel wieder aufstieg, dem nächsten Dorf entgegen. Von der fernen Kirchturmspitze leuchtete eine weiße Madonna.
Er ließ sich vom Rausch der Fortbewegung den Kopf frei blasen. Auf dem Hochplateau hinter Notre Dame des Gras stieg mit der Hitze der Duft von Wacholder und Thymian auf. Im Hohlweg schließlich, den zerborstene, bemooste Mauern und dichte Krüppeleichen bildeten, hatte er das Unbehagen, das ihn seit Tagen umtrieb, zu fassen gekriegt. Karen war auf der falschen Spur. Sie sah Politik und Verschwörung und höhere Mächte am Werk. Das war Stoff für sozialkritische Kriminalromane. Hinter den meisten Verbrechen aber steckte das Allerpersönlichste: Verletzte Ehre, verletzte Gefühle. Rache. Menschliche Schwäche.
Eine scharfe, riesige Mondsichel schob sich über den bewaldeten Hang. Bremer fuhr auf der Hauptstraße in Beaulieu ein, stieg bis zum höchsten Punkt des Ortes auf, zur Kirche, und kurvte dann die schmale Calade hinunter zur Place des Platanes. Karen saß auf der Terrasse, vor sich eine Karaffe Wein, und schien den Schwalben hinterherzuschauen, die in Kampfgeschwaderstärke ihre Abendmahlzeit aus der Luft schnappten.
»Es gibt Neuigkeiten.« Ihre Augen leuchteten. Während er ihr zuhörte, spielten ihm seine Sinne Gerüche und Geräusche zu. Marc Dutoit brachte ein großes Glas Bier, das er gierig zur Hälfte leerte. Das Fahrradfahren vermochte sogar ein Kronenbourg zu veredeln.
»Was sagst du nun? Entweder wollen sie nicht, daß alle Welt erfährt, was für Schlampereien beim BKA möglich sind. Oder es ist noch schlimmer.«
Er setzte das Glas ab. »Und das wäre?«
Ihre Wangen waren gerötet. »Sie legen ihre ehemaligen Informanten um, damit die nichts ausplaudern können über die lange und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Staatsgegnern und Staatsverteidigern.«
»Glaubst du das wirklich?« Gestern noch verliebt in den Rechtsstaat – heute bei den finstersten Verschwörungstheorien? Bremer hätte fast gelacht. Im Unterschied zu ihr hatte er als geborener Zyniker schon immer alles für möglich gehalten. »Verstehe ich dich richtig: Du glaubst, ein vom BKA entsandter Killer hätte Eva Rauch und Martin Schmid auf dem Gewissen?«
Sie nickte, ein wenig verlegen.
»Aber warum? Seit der Kronzeugenregelung ist die Zusammenarbeit mit Überläufern völlig legal, wenn auch vielleicht nicht immer appetitlich.«
»Aber er hat nicht offiziell geplaudert. Er wollte bei seinen Exgenossen nicht als Verräter gelten.«
Bremer winkte nach Dutoit und zeigte auf sein leeres Glas. Der Patron nickte zurück. »Du siehst das Naheliegende nicht, Karen.«
Sie guckte abwehrend.
»Du übersiehst die Opfer.«
»Welche Opfer? Eva Rauch? Martin Schmid?«
»Du brauchst nicht ironisch zu werden. Du weißt, wen ich meine. Die Opfer des Terrors.«
»Meinst du Alexa Senger? Was hast du eigentlich gegen sie?« Karen hatte den Mund spöttisch verzogen.
Gar nichts, dachte Bremer und sah weiße Haut und dunkle Haare und braune Augen vor sich.
»Alexa ist nur eine von vielen – denk an all die anderen. Die Väter und Mütter, Brüder, Schwestern, die Kinder all der von irgendeinem Kommando Sowieso erschossenen und in die Luft gesprengten oder auf andere Weise hingerichteten Opfer des internationalen Terrorismus. Sie haben all die Jahre über nie eine Rolle gespielt.«
Sie guckte noch immer abwehrend, aber die bunten Glühlampen, die Madame Dutoit eingeschaltet hatte, ließen ihre Züge weicher aussehen. Sie wirkte plötzlich sanft und verletzlich.
»Die meisten sehen
Weitere Kostenlose Bücher