Die Fotografin
Schön, daß Freund Steiner im BKA seine Elektronik wieder im Griff hat, dachte Karen.
»Nach Auskunft von Steiner wurden alle Waffen aus dem besagten Raub in einem Erdversteck gefunden. 1984.«
Gefunden? Von wem? Karen mußte ein unorthodoxes Geräusch gemacht haben, jedenfalls fügte Manfred Wenzel hastig hinzu: »Der Tip kam von einem Aussteiger.«
»Von Martin Schmid?«
»Kann schon sein. Schmid plante seinen Ausstieg um die Jahreswende 1982/83. Offiziell hat er nicht geredet, er wollte bei seinen Exgenossen nicht als Verräter gelten. Aber er bekam sichere Papiere. Irgend etwas wird er dafür schon geboten haben.«
Wenzel schien Karens Schweigen mißzuverstehen. »Du weißt doch: Solche Deals gab es immer wieder. Die Rauch hat auch geplaudert, als sie nach der Wende ihr Exil in der DDR aufgeben mußte.«
»Nichts davon habe ich in der Akte gelesen.« Karen war entgeistert.
»Rauch ist ihr Mädchenname. Ihre Aussagen machte sie unter dem Namen ihres Mannes. Sayahzadeh.«
Und so was wollte eine funktionierende Ermittlungsbürokratie sein, dachte Karen. »Sonst noch was?« fragte sie matt.
»Na ja.« Wenzel zögerte. »Also…« Karen hörte es leise quietschen. Er schien auf seinem Stuhl vor und zurück zu wippen.
»Die Waffen sind damals nicht an die zuständige Staatsanwaltschaft zurückgegeben worden, sondern im BKA geblieben. In der Asservatenkammer. Steiner erinnert sich plötzlich ganz genau an den Fall.«
»Manfred! Von dreien dieser Waffen wissen wir, daß sie nicht mehr dort liegen!«
Wenzel seufzte auf. »Vielleicht ist ein Fehler passiert bei der Identifizierung.«
»Einen Fehler würde ich akzeptieren. Aber drei?« In Karens Kopf herrschte ein Tumult aus Frage und Ausrufezeichen.
»Mehr kann ich nicht für dich tun, Karen, das weißt du.« Wenzels Stimme klang nervös, so, als ob er sich vor dem Klopfen an der Tür fürchtete, das den diensthabenden Justizwachtmeister mit der Vorladung zum Disziplinarverfahren ankündigte.
»Aber…« Was war mit Wenzel los? »Darüber kannst du doch nicht einfach so hinweggehen!« sagte sie.
»Komm, Karen!« Er klang gequält.
»Zwei inoffizielle Informanten der deutschen Ermittlungsbehörden werden mit Waffen umgebracht, die aus der Asservatenkammer des BKA stammen. Ich meine: Klingelt es da nicht bei dir? Willst du mir immer noch was von Selbstmord erzählen?«
»Karen…« Wenzel klang gequält. »Du meinst doch nicht im Ernst…«
»Ich meine gar nichts«, sagte Karen. Aber es war ihr Ernst. Das überhastete Schließen der Akte Eva Rauch. Die Tatsache, daß sowohl Rauch als auch Schmid Informanten der deutschen Ermittlungsbehörden waren. Und schließlich die Waffen. Was gab es wohl zu enthüllen, wenn sich eine Behörde soviel Mühe machte, es zu vertuschen?
9
P aul Bremer hatte das hellgrüne Kunstwerk lange umrundet. »1000 FF« nannte der ausgebleichte Zettel, der mit Bindfaden am Lenker festgebunden war. Die Rahmenhöhe käme hin. Er war schließlich nicht groß. An die Schaltung würde er sich gewöhnen müssen.
DELEUZE Joseph stand an der in sanft vergehendem Taubengrau gestrichenen Werkstattür. Eine Glocke schepperte, als er die Tür öffnete. Der Raum, den er betrat, schien in ein anderes Jahrhundert zu führen. Willkommen in der Vergangenheit, dachte Bremer. Er war im Paradies für Fahrradenthusiasten gelandet. Auf den Tischen lag, an den Wänden hing alles, was man brauchte, um Alltagsräder auf Touren zu bringen und Rennräder in alter Pracht wiederauferstehen zu lassen.
Doch dann sah er hinten in einer dunklen Ecke ein vertrautes Flimmern. Der Mann, dessen Augen sich nur unwillig vom Computerbildschirm lösten, trug einen blauen Werkstattkittel und einen schmalen, nicht sehr modischen Schnurrbart.
»Monsieur«, sagte er, blickte nochmal kurz auf den Bildschirm und betätigte dann irgendeine Taste.
An diesem Ort begegneten sich offenbar zwei Zeitzonen. Der Mann stand vom Schreibtisch auf und kam näher. Er sah nicht aus wie einer aus der Computergeneration. Und jung war er auch nicht mehr. Es war der Mann, den er beim Aufpumpen eines Kinderfahrrads gesehen hatte, als er das erste Mal vor dem Haus gestanden und sehnsüchtig die Fahrräder betrachtet hatte.
»Monsieur Deleuze?«
Der andere nickte, ohne das Gesicht zu verziehen.
»Ist das da draußen ein Folgorissima von Bianchi?«
»Kann schon sein«, antwortete Deleuze und guckte desinteressiert.
»Es sieht dem Original verdammt ähnlich.«
»Schon.« Der Mann klopfte
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