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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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dafür?«
    »Ihre Philosophie ist aber reichlich paradox.«
    »Haben Sie das auch schon gemerkt, Colonel? Humor, Medizin, Philosophie: Ich bin überall. Wir sind überall; meinen Sie das damit?«
    »Ich hätte das nicht zu sagen gewagt, aber da Sie darauf anspielen …«
    »Ja, da haben wir das große Paradox: Ich bin allein und überall. Ehre sei Gott, der meine kleine Anzahl durch die Gabe ausgleicht, überall zugleich zu sein. Das erlaubt mir, die Herren zu foppen, die von traurigen Leidenschaften beseelt sind. Vielleicht gelingt es mir ja sogar, sie dazu zu bringen, über sich selbst zu lachen.«
    Ahmed war immer da, er hockte ein wenig abseits vor dem Kocher; er bereitete stumm Tee zu und lächelte manchmal über die witzigen Attacken des Arztes. Er füllte die kleinen Gläser aus großer Höhe mit einer Geste, die der Colonel nicht nachzuahmen versuchte, aber gut zu kennen behauptete. Wenn sie den glühend heißen Tee getrunken hatten, bewegten sich die Zeltbahnen, der Schweiß verdunstete ein wenig, und sie seufzten zufrieden.
    »Um diese Zeit würde ich lieber Anisette trinken«, fügte Kaloyannis hinzu. »Aber wegen ein paar komischer Absurditäten, durch die sich der Islam auszeichnet, ist Ahmed dagegen, und es wäre mir unangenehm, ohne ihn Alkohol zu trinken. Daher, Messieurs, gibt es Tee für alle, und für die Dauer des ganzen Krieges, um die Schrullen eines jeden Einzelnen zu respektieren.«
    »Sagen Sie mal, Kaloyannis«, fragte der Colonel schließlich, »sind Sie Jude?«
    »Ich habe schon gemerkt, dass Ihnen das keine Ruhe lässt. Selbstverständlich, Colonel; mein Vorname ist Salomon. Sie können sich ja vorstellen, dass man sich in den heutigen Zeiten nicht ohne ernste familiäre Gründe mit so einem Vornamen belastet.«
    Der Colonel schwenkte das Glas in der Hand, damit der Tee darin herumwirbelte, die Blätter kreisten unten im Krater und die sich immer schneller drehende Flüssigkeit kam dem Rand gefährlich nahe. Dann leerte er das Glas in einem Zug und stellte die Frage anders.
    »Aber Kaloyannis ist doch ein griechischer Name, oder?«
    Salomon Kaloyannis brach in fröhliches Lachen aus, das den Colonel erröten ließ. Dann beugte er sich zu ihm herüber und deutete mit dem Zeigefinger auf ihn, als wolle er ihn zurechtweisen.
    »Ich sehe schon, was Sie beunruhigt, Colonel. Das Thema des versteckten Juden, oder irre ich mich da?«
    Der Colonel gab darauf keine klare Antwort, er war verlegen wie ein Kind, das dabei ertappt wird, einen Erwachsenen mit einem Holzschwert zu bedrohen.
    »Die Angst vor dem versteckten Juden«, fuhr Kaloyannis fort, »ist nur eine Frage der Klassifizierung.
    Ich bin mit einem Rabbiner befreundet, der wie ich in Bab el-Oued wohnt. Ich bin kein praktizierender Jude, aber trotzdem sind wir Freunde, denn wir haben gemeinsam die Schule geschwänzt. Gemeinsam nicht zur Schule zu gehen schafft viel engere Bande als gemeinsam hinzugehen. Wir kennen uns so gut, dass wir die tieferen Gründe unserer jeweiligen Berufung begriffen haben; das hat nichts Ruhmvolles, und daher kommt es zwischen uns nur selten zum Streit. Wenn er noch nüchtern ist, erklärt er mir mit schöner Logik, warum gewisse Tiere unrein sind oder wie abscheulich gewisse Praktiken sind. Die Kaschrut-Vorschriften besitzen die Präzision einer naturwissenschaftlichen Abhandlung, und dem kann ich folgen. Rein ist, was einer bestimmten Klasse entspricht, und unrein, was die Klassifizierung sprengt; denn der Herr hat eine wohlgeordnete Welt geschaffen, zumindest kann man das von ihm erwarten; und was nicht in seine Kategorien passt, verdient es nicht, darin vorzukommen: das sind die Ungeheuer.
    Wenn wir ein paar Gläser getrunken haben, sehen wir diese Grenzen natürlich nicht mehr ganz so eng. Sie verschwimmen etwas. Die Bretter in dem göttlichen Regal sind dann nicht mehr ganz so gerade. Die Fächer lassen sich nur noch schlecht zusammenfügen, manche haben keine Ränder mehr. Wenn man Anisette trinkt, gleicht die Welt nicht so sehr einer Bibliothek, sondern eher einem Tablett mit Tapas, aus denen wir uns ein paar Häppchen herauspicken: ein bisschen von allem, ohne bestimmte Reihenfolge und Ordnung, aus reinem Vergnügen.
    Nach ein paar weiteren Gläsern lassen wir den Skandal, die Empörung und das Entsetzen vor den Ungeheuern hinter uns und machen uns die einzige gesunde Reaktion angesichts der Unordnung der Welt zu eigen: das Lachen. Ein nicht enden wollendes Gelächter, das uns seitens unserer Nachbarn

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