Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
gemeinsam mit ein paar anderen auf ein Schiff gestiegen, um es mir zurückzuerobern. Und wenn ich zurückkehre, werde ich das, was ich wiedererlangt habe, an meine arabischen Nachbarn verteilen. Unsere Sprache, die elastische Republik, kann eine endlose Anzahl von Sprechern aufnehmen.«
»Halten Sie die Araber dazu fähig?«
»Wie Sie und mich, Colonel. Durch Erziehung kann man aus einem Pygmäen einen Atomphysiker machen, das können Sie mir glauben. Sehen Sie sich Ahmed an. Er ist in einer Lehmhütte geboren, für die sich ein Maulwurf schämen würde. Er hat eine Ausbildung erhalten, begleitet mich und leistet als Krankenpfleger hervorragende Arbeit. Tun Sie ihn in ein französisches Krankenhaus, da geht er unbemerkt durch. Bis auf den Schnurrbart natürlich; im Mutterland trägt man den Schnurrbart viel kürzer, das hat uns überrascht. Nicht wahr, Ahmed?«
»Ja, Dr. Kaloyannis. Sehr überrascht.«
Und dann brachte Ahmed ihm ein Glas und schenkte ihm Tee ein, Salomon bedankte sich freundlich bei ihm. Dr. Kaloyannis verstand sich sehr gut mit Ahmed.
KOMMENTAR IV
Hier und dort
A m Tag nach meiner Schmerzensnacht ging es mir besser. Danke.
Der Schmerz, der meine Kehle verwüstete, war mein eigener; nicht schlimm, aber mein eigener. Ich wurde ihn einfach nicht los. Mein Schmerz blieb bei mir wie eine in meinen Raumanzug eingeschlossene Maus, wenn ich als Kosmonaut in einer Kapsel mit ihr in den Weltraum geschossen würde, die vor der Rückkehr mehrmals die Erde umrunden muss. Der Kosmonaut kann nur warten und spürt, wie die Maus hier und dort über seinen Körper läuft, sie ist mit ihm eingeschlossen, er fliegt durch den Weltraum, und sie fliegt mit ihm. Er kann nichts dagegen tun. Sie wird mit ihm zu vorgesehener Zeit wieder auf die Erde zurückkehren, und bis dahin kann er nur warten.
Am Morgen spürte ich den Schmerz nicht mehr. Ich hatte schmerzstillende, entzündungshemmende und gefäßverändernde Mittel eingenommen, und sie hatten ihn vertrieben. Die Maus war aus meinem Raumanzug verschwunden, hatte sich in Luft aufgelöst. Die schmerzstillenden Mittel begründen den Ruhm der Medizin. Und auch die entzündungshemmenden Mittel, die Antibiotika und die beruhigenden Psychosomatropika. Da die Wissenschaft den Lebensschmerz nicht richtig zu heilen versteht, produziert sie Mittel, damit man den Schmerz nicht mehr spürt. Die Apotheker vertreiben Tag für Tag ganze Kisten mit Mitteln, um die Symptome einzudämmen. Ärzte und Apotheker mahnen den Patienten zu mehr Geduld, zu immer mehr Geduld. Die Priorität der auf den Körper angewandten Wissenschaften besteht nicht darin zu heilen, sondern Schmerzen zu lindern. Man hilft jenen, die sich beklagen, damit sie ihre Symptome ertragen. Man rät ihnen zu Geduld und Ruhe; man verabreicht ihnen zunächst einmal Linderungsmittel. Irgendwann wird man das Übel heilen können, aber erst später. Bis dahin soll man sich beruhigen, sich vor allem nicht aufregen, ein bisschen schlafen, um in diesem verheerenden Zustand weiterzuleben.
Ich schluckte die Mittel, und am nächsten Tag hatte ich kaum noch Schmerzen. Danke.
Dank der schmerzstillenden Mittel ging es mir nicht mehr so schlecht. Aber alles sieht schlecht aus.
Alles sieht schlecht aus.
Ich besuchte Salagnon einmal in der Woche. Ich wollte in Voracieux-les-Bredins einen Malkurs nehmen. Sprechen Sie diesen Namen in Beisein eines Lyoners aus, und schon erschauert er. Bei diesem Name zuckt man zusammen oder lächelt, und dieses Lächeln spricht Bände.
Diese Stadt aus Hoch- und Einfamilienhäusern befindet sich am äußersten Ende des Nahverkehrs. Weiter fährt kein Bus mehr, die Stadt ist zu Ende. Mit der Metro fuhr ich bis zum Busbahnhof. Die Bussteige reihen sich unter von Licht und Regen trüb gewordenen Plastikdächern aneinander. Große orangefarbene Zahlen auf schwarzem Untergrund geben die Bestimmungsorte an. Die Busse nach Voracieux-les-Bredins fahren nur selten. Ich setzte mich auf einen verblichenen, völlig verkratzten Sitz vor einem Windschutz aus Glas mit einer sternförmig gesprungenen Einschuss-Stelle. In dem durch die Schmerzmittel hervorgerufenen herrlich schwebenden Zustand kriegte ich kein Bein auf die Erde. Der schlecht konzipierte Sitz war mir dabei keine Hilfe; zu tief und mit zu hohem Rand hob er meine Beine, sodass meine Füße kaum den fleckigen Asphaltboden berührten. Dass Stadtmöbel generell unbequem sind, ist kein Zufall: das dient dazu, jeden längeren Aufenthalt zu verhindern und
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