Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Staatsangehörigkeit angenommen hat.«
»Das sag ich ja: ein Ire auf dem Papier. Das Blut entscheidet über die Staatangehörigkeit, nicht ein Papier.«
»Das Blut ist rot, Mariani.«
»Du dummer Maler! Ich rede von tieferen Blutsbanden, nicht von dem roten Zeug, das bei dem geringsten Kratzer aus der Haut rinnt. Das Blut, das weitergegeben wird! Das Einzige, das etwas wert ist!
Die Worte besagen wirklich nichts mehr«, seufzte er. »Die Wörterbücher sind voller Gestrüpp wie ein Wald, in dem zu viel abgeholzt worden ist. Man hat die großen Bäume gefällt, und an ihrer Stelle wuchern überall die gleichen Dornensträucher aus weichem Holz mit giftigem Saft. Und was hat man mit den großen Bäumen gemacht? Was hat man mit den Kolossen gemacht, die uns Schatten spendeten? Was hat man mit den Wunderwerken gemacht, die Jahrhunderte gebraucht haben, um so groß zu werden? Man hat aus ihnen Wegwerf-Essstäbchen und Gartenmöbel hergestellt. Die Schönheit zerfällt und endet im Lächerlichen.
Wir müssen aufhören zu reden, Salagnon, weil man mit kaputten Worten nicht mehr reden kann. Wir müssen zur realen Welt zurückkehren. Zu den Realitäten. Wir dürfen nicht zögern. In der realen Welt kann sich wenigstens jeder auf seine eigene Stärke verlassen. Die Stärke, Salagnon: die Stärke, die wir besessen haben und die uns aus den Fingern geglitten ist. Die Stärke, die wir besessen haben und die mit jedem toten Kameraden ein wenig abnahm, und die wir verloren haben, als wir heimgekehrt sind. Deshalb die Sandsäcke und die Waffen: Um zu verhindern, dass die Stärke ganz verloren geht.«
»Hast du deine Waffen etwa hier?« In Salagnons Stimme schwang Unruhe mit.
»Aber selbstverständlich! Nun sei doch nicht naiv! Und zwar echte Knarren, keine Schrotflinten, um Eichhörnchen zu jagen. Waffen mit scharfer Munition, mit der man töten kann.« Er wandte sich mir zu. »Hast du schon mal eine Kriegswaffe aus nächster Nähe gesehen? Sie in der Hand gehalten, bedient, ausprobiert? Benutzt?«
»Halt ihn da raus, Mariani.«
»Du kannst ihn nicht von der Realität fernhalten, Salagnon. Du kannst ihm ja das Pinseln beibringen, aber ich zeige ihm, wie man mit Waffen umgeht.«
Er stand auf und kam mit einer großen Handfeuerwaffe wieder.
»Eine Pistole, um es genau zu sagen. Das ist ein Colt M 1911, den ich immer unter meinem Bett liegen habe, zur Selbstverteidigung. Er ist mit 11,43-mm-Patronen geladen. Ich weiß nicht, warum man sich für so komische Maße entschieden hat, aber das sind großkalibrige Kugeln. Ich fühle mich mit großen Kugeln besser beschützt, vor allem im Schlaf. Es gibt nichts Schlimmeres, als schutzlos zu schlafen; nicht Schlimmeres als zu erwachen und sich ohnmächtig zu fühlen. Wenn du dagegen weißt, dass du unter deinem Bett die Lösung parat hast und dass du dir im Nu eine großkalibrige vollautomatische Waffe schnappen kannst, die sofort schussbereit ist, dann hast du die Möglichkeit, dich zu verteidigen, zu überleben und der Realität von einer Position der Stärke aus ins Auge zu sehen; und dann schläfst du besser.«
»Ist es so gefährlich zu schlafen?«
»Man kann dir in wenigen Sekunden die Kehle durchschneiden. Damals haben wir nur mit einem Auge geschlafen. Wir haben abwechselnd über die anderen gewacht. Beide Augen zu schließen, war immer ein Risiko. Und jetzt geht es hier so zu wie damals dort. Deshalb habe ich mich so weit oben angesiedelt. Ich habe meinen Posten mit meinen Jungs verschanzt und kann von hier aus alle Seiten überwachen.«
Er holte eine eindrucksvolle Waffe unter dem Sofa hervor, ein Scharfschützengewehr mit Zielfernrohr. »Sieh dir das mal an.« Er forderte mich auf, mit ihm ans Fenster zu gehen, legte die Ellbogen auf die Sandsäcke, schob den Gewehrlauf in die Schießscharte und visierte draußen ein Ziel an. »Hier, nimm.« Ich nahm das Gewehr. Waffen sind schwerfällige Gegenstände. Ihr kompaktes Metall lastet gewichtig in der Hand und löst beim geringsten Kontakt einen Schock aus. »Siehst du da unten, das rote Auto?« Ein roter Sportwagen, der sich von den anderen Fahrzeugen deutlich abhob, stand unten auf dem Parkplatz. »Das ist meins. Niemand rührt es an. Sie wissen, dass ich es Tag und Nacht überwache. Ich habe auch ein Nachtsichtgerät.« Das Zielfernrohr vergrößerte gut. Man sah die Leute, die achtzehn Stockwerke tiefer ahnungslos über den Parkplatz gingen. Das Gesichtsfeld beschnitt sie auf Oberkörper und Kopf, und mit dem Fadenkreuz
Weitere Kostenlose Bücher