Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
konnte man die Einschlagstelle der Kugel genau bestimmen.
»Niemand rührt mein Auto an. Es ist mit einer Alarmanlage ausgerüstet, und ich schieße ihnen sofort eine Kugel in den Kopf, Tag oder Nacht. Sie kennen mich. Sie wissen, was sie erwartet.«
»Aber wer denn?«
»Erkennst du sie nicht? Ich erkenne sie auf den ersten Blick: An ihrer Körperhaltung, am Geruch, ich höre sie. Ich erkenne sie sofort. Sie behaupten, sie seien Franzosen, und wetten, dass wir ihnen nicht das Gegenteil beweisen können. Zum Beweis dafür halten sie ein Papier hoch, das sie einen Personalausweis nennen und das ich einen Papierfetzen nenne. Ein Gefälligkeitspapier, das ihnen eine lasche, komplett unterwanderte Behörde ausgestellt hat.«
»Unterwandert?«
»Salagnon, du solltest ihm etwas anderes als das Pinseln beibringen. Er kennt nichts von der Welt. Er glaubt, die Realität sei das, was auf dem Papier steht.«
»Mariani, hör auf damit.«
»Aber sieh doch nur, da sind sie! Achtzehn Stockwerke tiefer, überall ringsumher, aber ich kann ihnen mit dem Zielfernrohr folgen. Zum Glück, denn im geeigneten Moment: Bumm! Bumm! Siehst du, es wimmelt geradezu von ihnen. Man gibt ihnen die Staatsangehörigkeit genauso schnell wie die Fotokopiergeräte das bekritzelte Papier kopieren können, und anschließend haben wir nichts mehr unter Kontrolle. Sie vermehren sich im Schutz jenes abgedroschenen Worts, das uns alle wie ein abgestorbener Baum überragt: französische Staatsangehörigkeit. Man weiß nicht mehr, was das bedeutet, aber es lässt sich den Leuten ansehen. Ich sehe sehr gut, wer Franzose ist und wer nicht, ich sehe das durch die Linse des Zielfernrohrs, genau wie damals; das ist leicht zu erkennen, und das lässt sich sehr leicht regeln. Warum soll man daher lange um den heißen Brei herumreden, wenn nichts dabei herauskommt? Man braucht nur ein paar entschlossene Typen, und dann fegt man diesen ganzen legalistischen Kram vom Tisch, der uns behindert, all diese verzagten Reden, die uns nur verwirren, dann kommen endlich Leute an die Macht, die sich untereinander gut kennen und die sich dem gesunden Menschenverstand verschrieben haben. Hier ist mein Programm: der gesunde Menschenverstand, Stärke, Wirksamkeit, und die Macht den Typen, die sich gegenseitig vertrauen; mein Programm, das ist die nackte Wahrheit.«
Ich nickte instinktiv, nickte, ohne zu begreifen. Er hatte mir die Waffe in den Händen gelassen, und ich blickte durch das Zielfernrohr, um ihn nicht ansehen zu müssen, und folgte den Menschen achtzehn Stockwerke tiefer, folgte ihrem Kopf, den ich mit einem schwarzen Kreuz markierte. Ich nickte. Er fuhr fort; er musste darüber lachen, dass ich die Waffe mit solchem Ernst in den Händen hielt. »Du findest Geschmack daran, stimmt’s?« Ich wusste, dass ich das Gewehr hätte weglegen müssen, aber ich konnte es nicht, meine Hände blieben am Metall und mein Auge am Zielfernrohr kleben, als hätte jemand im Scherz die Waffe mit schnell trocknendem Kleber eingepinselt, ehe man sie mir gab. Ich folgte den Leuten mit den Blicken, und mein Auge markierte ihren Kopf mit einem Kreuz, einem Kreuz, von dem sie nichts ahnten, und das sie nicht verließ. Das Metall wurde in meinen Händen wärmer, die Waffe gehorchte allen meinen Bewegungen, das Fadenkreuz prägte sich meinem Blick ein. Das Gewehr ist der Mensch. »Salagnon, sieh mal! Er hat gerade seine erste Lektion über das Gewehr von mir bekommen! Wer hätte geglaubt, wenn man ihn ansah, dass er in der Lage ist seinen Platz als Wachposten einzunehmen? Wir lassen ihn am Fenster, mit ihm als Wache haben wir nichts zu befürchten.« Marianis junge Typen brachen in ein dröhnendes Gelächter aus, bei dem ihnen der Bauch ins Wackeln geriet; sie lachten über mich, und ich wurde so rot, dass mir die Wangen brannten. Salagnon stand wortlos auf und führte mich wie ein Kind aus der Wohnung.
»Sie sind verrückt, oder?«, sagte ich, sobald sich die Türen des Fahrstuhls hinter uns geschlossen hatten. Die Kabine eines Fahrstuhls ist nicht groß, aber trotzdem wird man nicht unruhig, wenn sie sich schließt. Der kleine Raum ist beleuchtet, mit Spiegeln ausgestattet und die Wände sind mit Teppichfliesen beklebt. Wenn die Tür sich schließt, empfindet man keine Platzangst, sondern ist eher beruhigt. Die Gänge dagegen in dem Hochhaus, in dem Mariani wohnt, wecken die Angst vor dem Dunkel: die Beleuchtung funktioniert nicht und die Gänge sind verwinkelt und haben keine Fenster,
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